Die Aufgabe des Geheimprojekts ESCHER war ursprünglich, in der Post-Hyperimpedanz-Schock-Ära die technologische Stellung der LFT in der Milchstraße zu sichern und zu fördern: Es sollte ein »Denkapparat« geschaffen werden, der auch nach dem Ende des syntronischen Zeitalters wieder eine überlegene »Künstliche Intelligenz« zur Verfügung stellt. Das Ziel war somit ein Rechnersystem, das selbst in Zeiten erhöhter Hyperimpedanz an die Leistungen der Syntroniken anknüpfen oder diese gar übertreffen kann.
Erreicht werden sollte dies durch eine Verbindung von Positronik und menschlichem Geist, statt eines Plasmazusatzes wie in einer »konventionellen« Biopositronik oder Hyperinpotronik – ESCHER war also als extrem leistungsfähige »Maschine-Mensch-Kreuzung« geplant. Der Name bezog sich hierbei bewusst auf M. C. Eschers Darstellungen perspektivischer Unmöglichkeiten und optischer Täuschungen – ist doch auch die angestrebte direkte Verbindung zwischen menschlichem Bewusstsein und Positronik »eigentlich« eine solche »Unmöglichkeit« ...
Ehe wir uns den damit verbundenen Details zuwenden, ein Blick auf den Ursprung: ESCHER ist dem uralten, praktisch unbekannten, historischen Projekt Gedankenturm entlehnt, einem Projekt der Tefroder, das um das Jahr 17.200 vor Christus in Andromeda im Auftrag des Meisters der Insel Trinar Molat verwirklicht wurde. Es hatte damals wie in einem »Psi-Brüter« die Bewusstseine Hunderter Tefroder gleichgeschaltet, um eine mentale Waffe zu schaffen (PR-EXTRA 04).
Projekt Gedankenturm war als zusätzliches Mittel zur Beherrschung von Andromeda durch die Meister der Insel gedacht, doch das Vorhaben scheiterte, mit tödlichen Konsequenzen für alle Beteiligten, und geriet aufgrund völliger Erfolglosigkeit in Vergessenheit. Überdauert haben mehr als 20.000 Jahre später nur das Prinzip plus einige Eckdaten, die Rodin Kowa persönlich Jahre vor dem Hyperimpedanz-Schock 1324 NGZ in Andromeda »ausgegraben« hatte; eine echte Detektiv-Leistung, denn der Ursprungsplanet Tikagal, auf dem das Geheimprojekt umgesetzt worden war, wurde im Jahr 2407 von einer Maahk-Flotte vernichtet.
ESCHER hat eine völlig andere Richtung genommen als die Arbeit der damaligen Tefroder und ist in fast allen Aspekten anders konstruiert; die Wissenschaftler der Gegenwart haben aus den Grundlagen völlig andere Schlüsse gezogen. Dennoch ist das Projekt, eingedenk der Herkunft aus dem Fundus der MdI, dem eine »grundsätzliche Gefährlichkeit« unterstellt wird, mit Geheimhaltungsvorschriften und Absicherungen belegt.
Dass hinsichtlich der Meister der Insel und ihrer Hinterlassenschaften stets mit »unliebsamen Überraschungen« gerechnet werden muss, belegt überaus anschaulich ein Gespräch, dass Atlan Ende Januar 2422 mit dem vormals als Goldener im Dienst der MdI stehenden Talossa geführt hatte:
»Ich habe sie lange genug erlebt und weiß, dass sie immer komplexe Planungen erstellten. Wenn die Meister auf eines bedacht waren, dann auf ihre persönliche Sicherheit und das eigene Überleben. Ich mag mich irren, aber es erscheint mir ziemlich unwahrscheinlich, dass sie sich so einfach umbringen ließen. Bist du sicher, dass es die Originale und keine Duplos waren? Vielleicht rüsten die eigentlichen Meister inzwischen an ganz anderer Stelle auf und bereiten ihren nächsten Schlag vor? Nur als Beispiel: Der Zehntausendjahresplan der Maahks war uns bekannt, wir kannten die Truppenstärken und Hintergründe. Es wäre ein Leichtes gewesen, entsprechende Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Denk an die Multiduplikatoren, Situationstransmitter, Sonnentransmitter und – nicht zu vergessen – die Zeittransmitter.«
»Du meinst Zeitparadoxa?«
»Nicht unbedingt. Richtig eingesetzt, erlaubt ein Zeittransmitter paradoxonfreie Aktionen. Keine Änderung der Vergangenheit zur Umformung der Gegenwart, sondern die Schaffung von Voraussetzungen in der Vergangenheit, um in der Gegenwart passend agieren zu können. Verstehst du? Die Kenntnis eines Vorhabens gestattet es, über den Umweg der Zeitreise, frühzeitig entsprechende Fallen aufzubauen! Im Ergebnis ist es dann ein Sieg, ohne Paradox-Effekte. Und glaube mir: Die Meister handhabten die Zeittransmitter wie du deinen Privatgleiter. Das Gleiche galt für den Einsatz von Duplos und all die anderen Mittel. Nicht in mir solltest du also die eigentliche Gefahr sehen, sondern in jenen, die vielleicht gar nicht tot und besiegt sind, mein Lieber. Ich jedenfalls werde Vorsorgemaßnahmen treffen und, wenn es sein muss, zu gegebener Zeit wieder den Kopf beugen ...« (PR-Taschenbuch 402)
Rainer Castor