PERRY-RHODAN-Kommentar 2286


EINE »NEUE« HYPERPHYSIK? (I)


Die Zeit vor wie nach dem Hyperimpedanz-Schock von 1331 NGZ war vor allem von den Versuchen geprägt, die mit den veränderten Bedingungen verbundenen Probleme und neuen Anforderungen rein praktisch »in den Griff« zu bekommen. Bis zu einem gewissen Grad waren die vorab erstellten Simulationen völlig korrekt und halfen, Aggregate anzupassen oder komplett neu zu konstruieren. In etlichen Bereichen wurden die Wissenschaftler durch die Hyperimpedanz-Erhöhung jedoch auch mit Phänomenen konfrontiert, die so keineswegs erwartet oder vorhergesagt worden waren. Hinzu kamen Sekundärwirkungen wie die massiven Hyperstürme, die die ohnehin erschwerten Bedingungen nochmals verschärften oder im gegenseitigen Aufschaukeln wiederum zu gänzlich neuen Effekten führten.

Während die rein praktische Seite inzwischen durchaus Erfolge aufzuweisen hat und im Rahmen der weiterhin Zug um Zug stattfindenden Optimierungen solches auch in Zukunft erwarten lässt, stehen die Theoretiker der Hyperphysik genau genommen vor einem ziemlichen Scherbenhaufen. Waren früher schon viele Dinge unverstanden oder in Teilbereichen bestenfalls bedingt miteinander vereinbar, zeigten sich seit dem Hyperimpedanz-Schock die aufklaffenden Risse und Bruchstellen umso deutlicher. Viele als »gesichert« geltende theoretische Vorstellungen stürzten darüber hinaus ein oder gerieten zumindest ziemlich ins Wanken.

Die von den Arkoniden übernommene phänomenologische Hyperphysik war, wie sich rasch herausgestellt hatte, stark auf die praktische Nutzung »einfacher Hyperwirkungen« ausgerichtet. Sie bot mit ihren Modellen nur unzureichende Möglichkeiten für ein wirklich tieferes Verständnis. Der Sprung über die rein konventionelle Physik hinaus lieferte zwar fantastisch anmutende Anwendungen wie Antigravschächte, beliebig projizierbare Energieschirme und Hyperkraftfelder, überlichtschnelle Kommunikation und Transitions-Raumfahrt und was der Dinge mehr waren, aber diese robusten und in der Praxis in Jahrtausenden erprobten Anwendungen kratzten letztlich nur an der Oberfläche des übergeordneten Kontinuums.

Dass die Theorien und Modelle mehr als unzulänglich waren, zeigte sich bereits bei den als »Halbraum-Effekt« umschriebenen Phänomenen. Untrennbar mit ihrer Erforschung verbunden ist der Name des Hyperphysikers Arno Hieronymus Kalup, der zumindest die Ansätze einer erweiterten Hyperphysik liefern konnte. Neben dem nach ihn benannten Kompensationskonverter des Lineartriebwerks entwickelte er zwar eine ganze Reihe von weiteren Anwendungen, doch die meisten verschwanden in der Schublade. Entweder war ihre Energieversorgung nicht sichergestellt, oder die kontrollierte und gezielte Erzeugung stieß an damals nicht zu überwindende Grenzen. Dies zeigten damals beispielsweise die Schwierigkeiten bei der Konstruktion eines Halbraumspürers.

Nicht zuletzt die Erfahrungen mit dem »Roten Universum« der Druuf veranlassten Kalup, erste Modelle von Paralleluniversen zu erstellen, wenngleich sie als provisorisch anzusehen waren. Für Kalup war jedoch damals schon klar, dass die eingeschränkte Betrachtung des Standarduniversums plus das, was als Hyperraum umschrieben wurde, nicht ausreichte, um zu einer grundlegenden und umfassenden hyperphysikalischen Theorie zu gelangen.

Mit und durch Geoffry Abel Waringer stießen Wissenschaft und Technik in den »Paratron-Bereich« vor, bei dem deutlich energiereichere Hyperstrahlung zum Einsatz kam – in Analogie zum elektromagnetischen Spektrum als höherfrequent angesehen. Ihre Erzeugung gelang in der benötigten Menge zunächst kaum; wie bei der Halbraum-Technologie wurde sogar nach der Sicherstellung der Energieversorgung keineswegs das komplette Potenzial der Möglichkeiten ausgeschöpft.

Ein wesentlicher »Knackpunkt« war nicht zuletzt die benötigte »Schnittstelle« zwischen Konventionellem und Übergeordnetem und ihre Handhabung zur Erzielung ganz spezifischer Wirkungen, obwohl Waringer Kalups Vorstellungen über die Natur des Howalgoniums und anderer Hyperkristalle erweitern konnte.

Gefangen unter anderem in der Theorie einer nach oben offenen »Dimensionenleiter«, wurden weiterhin Einzelphänomene beobachtet. Diese konnten jedoch nicht exakt eingeordnet werden, weil der theoretische Gesamtüberbau fehlte. Die Situation glich lange jener der Subnuklearphysiker auf der Erde vor dem Kontakt mit den Arkoniden: Immer mehr Teilchen mussten dem »Teilchenzoo« hinzugefügt werden, die »Große Vereinheitlichung« dagegen ließ auf sich warten. Der marsianische Nexialist Boris Siankow behauptete deshalb vermutlich durchaus zu Recht: »Echte Hyperphysik beginnt erst mit dem UHF-Bereich.«

Rainer Castor