PERRY-RHODAN-Kommentar 2262


CARYA ANDAXI


Die Mythen der Motana von Baikhal Cain sprachen davon, dass ihr Volk der Überlieferung nach in der lange zurückliegenden, glücklicheren Zeit einmal das zahlenmäßig dominierende, über ganz Jamondi ausgebreitete Volk gewesen war, treue Untertanen der Schutzherren, als noch die Kraft der Psyche und die Macht der Moral den Sternenozean beherrschten.

Inzwischen können wir die beiden Umschreibungen besser einordnen, denn unter Kraft der Psyche sind ohne Zweifel die psionischen Möglichkeiten der Motana zu verstehen, während mit Macht der Moral niemand anderes als die Schutzherrin Carya Andaxi höchstpersönlich umschrieben wurde. Diese war nicht als Kämpferin zum Orden der Schutzherren gekommen, sondern verkörperte eben die Moral im wahrsten Sinne des Wortes.

Noch sind beileibe nicht alle Puzzleteilchen zusammengestellt, aber Zug um Zug gewinnt das Bild aus der fernen Vergangenheit konkrete Gestalt. Für ein abschließendes Urteil dürfte es noch zu früh sein, aber schon jetzt ist der für ungezählte Lebewesen tragische Aspekt des Ganzen mehr als augenfällig. Sei es hinsichtlich des Schicksals des Ordens der Schutzherren an sich oder die Einzelschicksale betreffend, soweit sie uns bislang bekannt sind – beispielsweise die erschreckendes Wandlung Gon-Orbhons als Folge seiner versuchten Hilfe für den Satrugar-Nocturnenstock auf Parrakh.

Von Tragik geprägt ist zweifellos auch und vor allem Carya Andaxi. 7.000.392 vor Christus hatte sie mit ihrem 900 Meter durchmessenden muschelförmigen Raumschiff Tan-Jamondi II angeflogen und verkündet, dass sie im Dienst der kosmischen Ordnungsmächte gestanden habe, doch dieser beendet sei. Berücksichtigen wir die bisherigen Erfahrungen von Wesen oder Organisationen, die aus dem Dienst der Kosmokraten auszuscheiden versuchten, erhalten wir ohne Zweifel einen Eindruck davon, welche Persönlichkeit sie sein muss.

Äußerlich eine zwanzig Meter große, uralte, unsterbliche »Seekuh«, hat Carya Andaxi trotz ihrer klobigen, für jegliche körperliche Verrichtung untauglichen Gestalt die positivste Ausstrahlung, die man je bei einem Wesen erlebt hat. Völlig problemlos passierte sie sowohl die Prüfung der Schildwachen als auch die des Paragonkreuzes. Nie zuvor hatte eine geeignete Persönlichkeit so schnell die Schutzherren-Aura erhalten – auf vielen Welten erzählte man sich sogar, dass das Paragonkreuz während Caryas Weihe vor Freude irrlichternd aufgeflammt war. Manche hielten das für ein Gerücht, eine Übertreibung jener Bevorzugten, die das Glück gehabt hatten, am Dom Rogan dabei gewesen zu sein.

Doch Lyressea bestätigte in ihrem Bericht, dass das Paragonkreuz in einem überirdischen Licht gestrahlt hatte. Und alle, die es beurteilen konnten, waren sich einig darüber, dass der Orden nie so sehr gewonnen hatte wie an jenem Tag. Allerdings war Carya Andaxi nicht als Kämpferin gekommen, sondern sie stärkte als die Moral die seelische Befindlichkeit der Schildwachen und der Schutzherren sowie aller Wesen, die in ihrer Nähe weilten. Niemals, in nicht einem einzigen dokumentierten Fall, beteiligte sich Carya Andaxi an einer Kampfhandlung. Und sei sie noch so gerecht oder notwendig ...

Der Planet Graugischt im Arphonie-Haufen wurde Carya Andaxis persönliches Refugium. Keine der Schildwachen hatte jemals diese Heimstatt besucht, aber einige Schutzherren waren hin und wieder dort gewesen. Es galt als ungeschriebenes Gesetz, dass Carya Andaxi einen Sonderstatus hatte – Graugischt war (und ist!) ihr Planet, auf den sie sich im Jahr 7.000.354 vor Christus zurückgezogen hatte.

Als sie nach 117 Jahren mit einem Prototyp eines Bionischen Kreuzers nach Tan-Jamondi II zurückkehrte, von den Schota Magathe begleitet, hörte man erstmals von den rätselhaften Submarin-Architekten, die den Ozean Graugischts bewohnten. Da der Leib der Schutzherrin vor ihrem Rückzug zum doppelten Umfang angeschwollen war, lag genau betrachtet die Vermutung nahe, für die wir jetzt die Bestätigung erhalten haben: Die Ozeanischen Orakel sind Andaxis Kinder! Sie entstammten einst ihrem Leib – und aus einer Schota Magathe soll einst die neue, wiedergeborene Carya Andaxi hervorgehen.

Nach der Abriegelung der Hyperkokons hatte die Schutzherrin Vorsorge getroffen, offenbar nicht überrascht, in Tagg Kharzani den Verräter zu erkennen. Die wichtigsten Welten, heute die zwölf Planeten des Schattenstaates Andaxi, wurden damals in Sicherheit gebracht – per leistungsfähigem Teletransportfeld eines Situationstransmitters auf Halbraumbasis in neue Positionen im Orbit anderer Sonnen versetzt und hinter künstlichen »Raum-Zeit-Falten« verborgen, wie im vorliegenden Roman nachzulesen ist.

Rainer Castor