Mit dem Bericht der beiden »Liebenden der Zeit« wurde ein bemerkenswerter Bogen durch Raum und Zeit geschlagen und der Blick auf ein sich zumindest in den Konturen abzeichnendes Gesamtbild geworfen, dessen »Querverweise« Thema der letzten sechs PR-Kommentare waren.
Dieses »Gesamtbild« ist aus mehreren Gründen keineswegs wirklich vollständig. Einmal, weil es im angesprochenen Zeitrahmen durchaus genügend weitere Ereignisse gab, die nicht in den Thoregon-Komplex eingebunden waren und sind. Diese konnten somit bestenfalls angerissen werden oder aber wurden gar nicht erwähnt. Zum Zweiten, weil auch nach dem Bericht der Algorrian weiterhin vieles der Erklärung harrt und keineswegs schon alle offenen Fragen beantwortet sind. Und drittens schließlich muss beachtet werden, dass selbst dieses »Gesamtbild« nur einen winzigen Teilaspekt darstellt, bezogen auf einen kleinen Abschnitt des Universums und eine im Vergleich zu den übrigen Jahrmilliarden »kurze« Zeitspanne.
Die von der Superintelligenz THOREGON vorangetriebene Entwicklung ist hierbei erst seit rund 20 Millionen Jahren »Thema«. Ihre Bestrebungen berühren zwar ohne Zweifel derzeit maßgeblich die Interessen der Höhen Mächte von Kosmokraten und Chaotarchen, doch sollte niemand dem vermutlich verhängnisvollen Irrtum verfallen, dass das schon »alles« sei. Niemand weiß, welche Aktivitäten, Auseinandersetzungen und Intrigen im »übrigen Universum« stattfinden – genauer: im Multiversum mit seinen ungezählten Paralleluniversen und ihren Alternativentwicklungen, den potenziellen Realitäten, Welten der Wahrscheinlichkeit und welche Möglichkeitsformen wie auch realen Umsetzungen noch vorhanden sein mögen.
Dass bei den »Querverweisen« wiederholt ES, die Lokale Gruppe und die Milchstraße ins Zentrum des Blickfelds gerieten, ergibt sich zwangsläufig aus den uns zur Verfügung stehenden Informationen, gewonnen von den daran direkt oder indirekt beteiligten Personen und Machtgruppen. Die darüber hinausgehenden Schauplätze und Ereignisse sind allerdings selbstverständlich ebenfalls vorhanden – und aus Sicht der Hohen Mächte unter Umständen vielleicht sogar von viel wichtigerer Bedeutung! –, aber über sie wissen wir bislang nichts oder »so gut wie nichts« und müssen sie deshalb bis auf weiteres ausklammern.
Die mit dem Begriff »Thoregon« umschriebenen Aktivitäten stehen momentan zwar zu Recht im Vordergrund unserer Aufmerksamkeit und werden je nach Ausgang der bevorstehenden Ereignisse Auswirkungen auf die weitere Entwicklung haben. Aber seit den Eröffnungen der Pangalaktischen Statistiker in Wassermal kennen wir zumindest einen Zipfel des größeren Rahmens, in den wiederum auch »Thoregon« nur als Teil eingebettet ist.
Vorbehaltlich der uns zur Verfügung stehenden Informationen können wir offensichtlich vereinfachend festhalten, dass es letztlich um nicht weniger als das »Leben an sich« und seine Entwicklung auf der kosmischen Bühne geht! Und es sieht ganz so aus, als sei derzeit eine Art »Wendepunkt« erreicht. Ein Wendepunkt, der zwar schon Jahrmillionen beansprucht, aber im Vergleich zu den Jahrmilliarden einer »kosmologischen Sicht« eben nicht mehr als ein Fingerschnippen darstellt.
Bis zu dem uns derzeit noch unbekannten Zeitpunkt vor einigen Milliarden Jahren, da die ersten Kosmokraten und Chaotarchen entstanden, scheint die Entwicklung des »Urlebens« weitgehend natürlich abgelaufen zu sein. Äußere Einflüsse und Manipulationen gingen damals bestenfalls auf die ersten entstandenen Superintelligenzen, Materiequellen und Materiesenken zurück und dürften sich eher »im Rahmen« gehalten haben.
Wir wissen nicht, ab wann genau beispielsweise die Kosmokraten damit begannen, die Entwicklung des Lebens durch Sporenschiffe und Schwärme zu fördern – oder vergleichbare »Vorläuferformen« der Einflussnahme, über die wir nichts wissen. Dass die Chaotarchen als Widerpart darauf reagierten, kann wohl vorausgesetzt werden, wenngleich uns über die Einzelheiten ebenfalls keine Informationen zur Verfügung stehen.
Sofern uns die Pangalaktischen Statistiker keinen Riesenbären aufgebunden haben, kann weiterhin festgehalten werden, dass sich irgendwann das »Leben an sich« in diesem Wechselspiel von Aktion und Reaktion in einer Weise zu entwickeln begann, wie es weder der einen noch der anderen Seite recht war. Das Leben brach vermehrt aus den vorgegebenen Bahnen aus, ließ sich weder in Ordnung noch Chaos in Reinform pressen, sondern beschritt quasi »eigene Wege«, besetzte Nischen und breitete sich in einem Maß aus, wie es offenbar in dieser Form nicht geplant war.
»Das Leben an sich nimmt überhand«, sagen die Statistiker – und genau darauf reagieren die Hohen Mächte, ganz unabhängig vom derzeit im Betrachtungszentrum stehenden Thoregon-Komplex, offensichtlich schon seit geraumer Zeit. Seit wann genau, ist hierbei ebenso wenig bekannt wie die Dauer, in der die Anzeichen einer beschleunigten Eigendynamik zwar bemerkt und beobachtet, aber noch nicht gehandelt wurde. Erschwerend bei der Beurteilung wirkt sich hier wieder einmal der keineswegs umfassende Blickwinkel aus – von dem uns unbegreiflichen Denken und Beurteilen der Hohen Mächte ganz zu schweigen.
Es bleibt abzuwarten, welche sicherlich unangenehmen Überraschungen uns noch bevorstehen – neben dem Abschalten der Schwärme. Die Stationierung der Galaxienzünder, die ja »nur« gezielt als Aktion gegen die Thoregons und nicht gegen das »Leben an sich« gedacht sind – wenngleich in den betroffenen Sterneninseln bei einem Einsatz natürlich auch die dortigen Lebensformen vernichtet würden –, lässt Böses befürchten.
Unabhängig davon, wie nun genau die Auseinandersetzung rings um »Thoregon« enden wird, der »größere Rahmen« ist längst abgesteckt, denn das »Leben an sich« hat fortan zweifellos beide Gruppen der Hohen Mächte gegen sich ...
Rainer Castor