PERRY-RHODAN-Kommentar 2165


DER MAHLSTROM DER STERNE (I)


7. März 3460, 14.23 Uhr Standardzeit: In diesem Augenblick verschwand das Erde-Mond-System im Raum zwischen Kobold und Sol. Gleichzeitig sollte die Rematerialisation im Archi-Tritrans-Sonnentransmitter stattfinden. Von der Schaltstation, die man etwa eine Milliarde Kilometer »über« dem Schwerpunkt des aus drei roten Riesensonnen gebildeten Sonnendreiecks durch Kraftfelder verankert hatte, wurde jedoch zunächst nur ein Gebilde von unbestimmbaren Konturen beobachtet.

In wenigen Sekunden verdichtete sich der Nebel zu Erde, Mond und 96.000 Raumschiffen. Dann allerdings blähten sich die Himmelskörper auf, wuchsen zu einer Größe, die der einer Riesensonne entsprach – und der Vorgang kehrte sich abrupt um. Der Nebel wallte stärker. Die Raumschiffe verschwanden wie der Mond hinter treibenden Schwaden. Für Augenblicke leuchtete die Erde noch blauweiß durch den Dunst, dann war auch sie verschwunden. Für knapp eine Minute hielt sich der Schleier noch, bis er sich ebenfalls auflöste ...

Wie erst später klar wurde, war das der Augenblick, an dem Erde und Mond in den Mahlstrom der Sterne versetzt wurden. Untersuchungen beim Gercksvira-Sonnenfünfeck in Andromeda belegten, dass eine 22.000 Raumschiffe umfassende Lemur-Flotte ein vergleichbares Schicksal erlitten hatte, so dass man zunächst von einer »Fehlfunktion« der Sonnentransmitterverbindung ausging. Dass deutlich mehr dahinter steckte und die Superintelligenz ES ihre unsichtbaren Finger im Spiel hatte, stellte sich erst mit der Zeit heraus.

Nachzulesen sind diese Ereignisse in den PR-Heftromanen 673 bis 699 oder in den PR-Büchern 76 bis 80. Erinnern wir uns: Der Mahlstrom ist eine 156.000 Lichtjahre lange »Nabelschnur« zwischen zwei Galaxien – auch als Abriss-Verbundschnur umschrieben –, die vor rund zwei Milliarden Jahren miteinander kollidierten und sich durchdrangen. Sich wieder voneinander entfernend, rissen die Galaxien gegenseitig Materiemassen aus sich heraus und schleiften sie mit.

Sonnensysteme in unbekannter Zahl wurden so mitgerissen, und es bildete sich im Lauf der Jahrmillionen zwischen ihnen eine Materieader in Form eines schlauchförmigen Gebildes. In den von Energieorkanen durchdrungenen Gaswolken und -streifen befinden sich Abermillionen Sonnen mit ihren Planeten und Staubmassen aller Art.

Insgesamt ist es ein einziges hyperenergetisches Chaos, in dem Mess- und Beobachtungsinstrumente versagen. Selbst optische Systeme liefern nur verzerrte Bilder und grobe Vorstellungen von Entfernungen. Erde und Luna befanden sich nahe der engsten Stelle dieses Verbindungsschlauches, wo genau jene energetischen Turbulenzen anzutreffen waren, die für die Rolle des Empfangstransmitters Voraussetzung waren. In weiteren Millionen Jahren, so lässt sich absehen, wird die Nabelschnur wohl an genau dieser Stelle reißen.

Diese in der Mitte des Mahlstroms gelegene und mit nur 500 Lichtjahren Durchmesser dünnste Stelle der Materiebrücke ist der Standort des fremdartigen Hochenergiewirbels, der aufgrund erster Beobachtungen die Bezeichnung Schlund erhielt, aber auch Nahtstelle oder Distanzschwelle genannt wurde. Die dort wirbelnden Kräfte sind in ihrem Charakter überwiegend fünf- bis sechsdimensional und »saugen« alles in sich auf, was in ihre Nähe kommt.

Sterne, Planeten und andere Körper im Mahlstrom streben allesamt langsam dem Schlund entgegen. Wohin sie von dort aus geschleudert werden oder ob ihnen die völlige Vernichtung droht, ließ sich zunächst nicht absehen. Deutlich aber wurde schon nach den ersten Erkundungsflügen der Terraner, dass auch die Erde dem Schlund entgegentrieb. Terra passierte ihn dann im Jahr 3582 und wurde – seit Jahrzehnten Teil des Medaillon-Systems – in die Galaxis Ganuhr der Mächtigkeitsballung von BARDIOC versetzt.

Der Schlund selbst erscheint dem Betrachter rein optisch als fast runder, rasend schnell rotierender Energiewirbel von hellroter bis blau-schwarzer Färbung, die im Mittelpunkt in ein tiefes Schwarz übergeht, das allerdings hier und da, beispielsweise bei Energie- und Hyperstürmen, von hellroten Leuchtspuren überzogen wird. Der ungefähre Durchmesser des transmitterähnlichen Wirkungsbereichs beträgt vierundzwanzig Milliarden Kilometer.

Die im Jahr 3460 mitsamt der Erde und ihrem Mond im Mahlstrom gestrandeten Terraner waren sich nach ersten Untersuchungen sicher, dass es sich bei dem Schlund um einen »Transmitter aus Zufall« handelt. Der innere Wirkungsbereich war hierbei offenbar durch das Aufeinandertreffen verschiedenster Kräfte der beiden auseinander driftenden Galaxien gekennzeichnet, verbunden mit einer hyperenergetischen Polung, so dass zwangsläufig jedes in den Schlund hineinfliegende Objekt entstofflicht wurde.

Umgekehrt ermöglichten diese Kräfte erst die Rematerialisierung von Erde und Mond im Mahlstrom – wobei sich inzwischen die berechtigte Frage stellt, ob das wirklich die einzige Ursache war. Mittlerweile ist nämlich kaum zu bezweifeln, dass noch viel mehr damit verbunden werden muss, denn die rund 500 Millionen Lichtjahre von der Milchstraße entfernte Region des Universums ist laut den Pangalaktischen Statistikern identisch mit der des Ersten Thoregons!

Und vor diesem Hintergrund dürfte es wohl grenzenlose Naivität sein, die seinerzeitige Versetzung von Erde und Mond dorthin als »puren Zufall« abzutun. Zudem muss nun auch der »Plan der Vollendung«, in dessen Verlauf ES zwanzig Milliarden Menschen in sich aufnahm, im Rahmen eines langfristigen Konzepts gesehen werden. Die mit der Entstehung von ES verbundene Zeitschleife spielt hier ebenso hinein wie die Vorbereitungen zum Entstehen des »DaGlausch-Thoregons«, hinzu kommen die Helioten und letztlich das Erste Thoregon selbst.

Da passt es wie die berüchtigte Faust aufs Auge, dass die zweite an den Mahlstrom gebundene Sterneninsel leider nie näher erforscht wurde ...

Rainer Castor