Als am 15. September 1307 NGZ das 110 Meter lange »Katamaran-Schiff« in die Milchstraße kam, im Hayok-Sternenarchipel rätselhafte Echolot-Ortungen durchführte, fast »nebenher« drei arkonidische Raumer durch Einsatz seiner Reflektorwaffe vernichtete und dann wieder verschwand, konnte noch niemand wissen, dass das nur der Auftakt einer Entwicklung sein würde, die nun, vier Jahre später, zu einer Krise auswächst, deren gesamtes Ausmaß noch gar nicht abzusehen ist.
Die Gefährlichkeit Aglazar-Schlachtschiffe, die von den Terranern Katamar genannt wurden, wurde uns mittlerweile vor Augen geführt. Doch schon die kleinere Version wies trotz ihrer an ein Beiboot erinnernden Größe Leistungsparameter auf, die über jenen des Milchstraßenstandards lagen – Beschleunigungen von 1500 Kilometern pro Sekundenquadrat, einen inzwischen als Paradim-Panzer bekannter Schutzschirm mit einer Abwehrkapazität deutlich oberhalb der der Paratronschirme, die Reflektor-»Waffe«, die Direkttreffer von Transformkanonen unmöglich macht, sowie ein »5-D-Echolot«, dessen Wirkungsweise unbekannt blieb. Und doch – es war nicht mehr als ein Kundschafter ...
Am 23. Oktober 1311 NGZ folgten diesem die vier jeweils neunzehn Kilometer durchmessenden Scheibenstationen, die genau dort im Hayok-Sternenarchipel Position bezogen, wo zuvor der Kundschafter auf eine Art Resonanz seiner Suchimpulse gestoßen war. Die Stationen bildeten hier die Eckpunkte eines Quadrats von 1,8 Millionen Kilometern Kantenlänge, dessen Ebene leicht zu der der Milchstraßenhauptebene geneigt war.
Die vier Stationen selbst wurden auf eine Weise teilentstofflicht und »Richtung« Hyperraum entrückt, die dem als Ultrasemi-Manifestation umschriebenen Phänomen gleicht, welches schon bei der Kosmischen Fabrik MATERIA beobachtet worden war. Nach einer gewaltigen Erschütterung des Raum-Zeit-Kontinuums verwandelte sich der quadratische Bereich zwischen den Stationen in ein hyperenergetisch gesättigtes Feld, das optisch die Sterne einer anderen Galaxie darstellte, als sei es ein Fenster – ein Sternenfenster ...
Nach seiner Ausbildung strahlte dieses nur noch überraschend geringe Emissionen ab, die sich mit den gängigen Instrumenten maximal bis in einem Lichtjahr Entfernung anmessen lassen. Die zu Schemen entrückten Stationen sind keine Objekte des vierdimensionalen Kontinuums mehr und damit nach derzeitigem Kenntnisstand unangreifbar. Diese Erkenntnis haben die Arkoniden teuer bezahlen müssen und über dreihundert Schiffe verloren: Sie waren im Feuer ihrer eigenen Waffen untergegangen, das von den Stationen reflektiert wurde.
Das Sternenfenster kann lediglich mit einer Geschwindigkeit von fünf Prozent der Lichtgeschwindigkeit gefahrlos durchflogen werden. Ab sechs Prozent liegt das Risiko, dass das Fenster sich quasi verfestigt und das eindringende Objekt zerschellen lässt, bei einem Zehntel. Ab sieben Prozent steigt das Risiko der Totalvernichtung auf ein Drittel, ab acht Prozent liegt es bei drei Vierteln. Und ab neun Prozent besteht keinerlei statistische Chance auf ein Durchdringen mehr!
Es ist also eine Art »Permanent-Transmitter auf der Basis einer weitgehend unverstandenen Dimensionstunnel-Technologie« – so die bisherige Einschätzung der Wissenschaftler, die mit dieser Formulierung jedoch mehr ihr eigenes Unverständnis kaschieren, als wirklich eine Erklärung abzugeben. Noch weiß nämlich niemand, um was genau es sich bei dieser Technologie handelt, warum sie ausgerechnet im Hayok-Sternenarchipel zum Einsatz kam und welche Bedingungen im Hintergrund eine Rolle spielen – Stichwort Thoregon.
Fest steht nur, dass es eine Verbindung über die Distanz von 388 Millionen Lichtjahren zwischen der Galaxie Tradom – auf der Erde als »HCG 87A« bekannt – und der Milchstraße ist. Eine Verbindung überdies, die normalerweise von beiden Seiten aus den offensichtlich zeitlosen Durchgang gestattet, aber auch eine einseitige »Polung«, wie der Eingriff der Eltanen gezeigt hat.
Dass »Transmitter« im weitesten Sinne die Überbrückung großer Entfernungen gestatten, wissen wir, seit die Sonnentransmitter der Lemurer und Meister der Insel entdeckt wurden. Ein auf der Halbraumtechnik beruhendes, auch als Stoßimpuls-Generator umschriebenes und mit dem Begriff »Situationstransmitter« eher falsch belegtes Phänomen weist – obwohl nicht auf eine Gegenstation angewiesen – mit seinem im Allgemeinen eine Million Kilometer durchmessenden »Feuerring« sogar einige Ähnlichkeit mit dem Sternenfenster auf.
Fast zwangsläufig drängt sich da natürlich die Frage auf, ob nicht Aktivitäten der Lemurer die Voraussetzungen gewesen sein könnten, dass hier im Hayok-Sternenarchipel das Sternenfenster geöffnet werden konnte – immerhin gehörte diese 128 Sterne umfassende, vierzehn mal zwölf mal zehn Lichtjahre große, rund 2140 Lichtjahre oberhalb der Milchstraßenhauptebene gelegene Sonnenansammlung seinerzeit zum 21. Tamanium des Großen Tamaniums.
Die Welten wurden im halutisch-lemurischen Krieg quasi in die Steinzeit zurückgebombt, stark zerfallene Ruinen und Artefakte liefern nur wenige Aufschlüsse – aber die Frage liegt nahe, ob hier nicht einmal ein Sonnentransmitter vorhanden gewesen war, der unter Umständen den Boden bereitet hat, vielleicht in Form einer bleibenden »Verzerrung« oder »Deformierung« des Raum-Zeit-Gefüge, die nun bei der Öffnung des Sternenfenstern ausgenutzt werden konnte.
Andererseits: So nahe liegend diese Vermutung auch erscheint – sie erklärt nicht den Zusammenhang zum Thoregon des Reichs Tradom, denn dass dieser ebenfalls eine Rolle spielt, erscheint fast zwingend, handelt es sich beim Sternenfenster doch ausdrücklich um eine Verbindung zwischen zwei Thoregons. Leider sind noch zu wenige Einzelheiten bekannt, um konkretere Spekulationen anstellen zu können ...
Rainer Castor