»Zuverlässig wie ein Seelenquell« – so lautete ein geflügeltes Wort im Land Dommrath. Um so tragischer ist es also, daß ausgerechnet ein Seelenquell in der Milchstraße zur negativen Superintelligenz wurde. Freiwillig geschah das zwar nicht, aber es geschah – und maßgeblich involviert war hierbei der Anzug der Phantome.
In ferner Vergangenheit wurde er von einem Ritter von Dommrath in den Technologischen Speicher der Sternenkammer gebracht: Wir wissen nicht, wann genau das geschah, welcher Ritter es war, auch nicht, unter welchen Umständen dieser in den Besitz des Anzug kam. Sicher ist nur, daß der Ritter als Hersteller ein Wesen namens Parr Fiorano angab, den als »Anzugmacher« bekannten Diener der Materie.
Aus anderer Quelle wissen wir, daß dieser in der Tat viele Anzüge herstellte: solche für die anderen Diener der Materie, weitere Sonderanfertigungen, auch eine Reihe sogenannter Anzüge der Vernichtung. Diese bekannten Beispiele sprechen nicht dagegen, daß er auch den Anzug der Phantome hergestellt hat, ganz im Gegenteil.
Es war ein machtvolles Instrument, sehr gefährlich in den falschen Händen, das seinem Träger Unsterblichkeit verschaffen und ihn auf eine höhere Stufe der Existenz heben konnte. Keiner der Ritter von Dommrath hatte jemals gewagt, den Anzug anzulegen, geschweige denn mit ihm zu experimentieren. Dasselbe galt für den Sepzon-Gürtel, strenggenommen ein Teil des Anzugs.
Solange das Konservierungsfeld im Technologischen Speicher bestand, ging von dem Anzug keine direkte Gefahr aus. Als Wrehemo dieses jedoch desaktivierte, spürte er die Gegenwart einer mächtigen Kraft, eine unwiderstehliche Verlockung – denn der Anzug suchte nach einem Träger, nahm Einfluß auf das Denken, in einer eindeutig enthemmenden, negativen Weise, sofern dieser nicht die notwendige mentale und moralische Stabilität mitbrachte (PR 2049).
Und genau das ist der Schlüsselsatz: Der Anzug der Phantome erforderte einen Träger, der ihm gewachsen, ebenbürtig war, der die Kräfte bändigen konnte! Mag sein, daß ein Hathor wie Tengri Lethos, ein anderer Hüter des Lichts, ein Mächtiger wie Kemoauc, ein Diener der Materie, vielleicht auch ein besonders starker Ritter der Tiefe geeignet gewesen wäre, Herr des Anzugs zu sein, so daß seine Kräfte beherrscht wurden – aber eben das traf weder auf Morkhero noch auf Wrehemo zu ...
Gedacht war der Anzug dazu, den Schritt auf eine höhere Evolutions- und Existenzebene zu ermöglichen, hin zu einer unsterblichen Höheren Wesenheit. Das Anzugdesign zielte darauf ab, ein an sich »normales Wesen« zum Herrn einer – zu Anfang gewiß sehr kleinen – Mächtigkeitsballung zu machen.
Genügend psionisches und mentales Potential vorausgesetzt – das der Träger aus sich selbst heraus einbrachte, aber auch als von außen angelagertes oder vereinnahmtes auftreten konnte –, konnte dieses im entscheidenden Augenblick zu der Höheren Wesenheit unter der Führung des Anzugträgers zusammengefaßt werden. Diese »Entkörperlichung«, die die spontane Bildung von Psi-Materie sowie deren Beherrschung mit einschloß, gestattete bei optimalen Voraussetzungen im Extrem sogar den Sprung zu einer Superintelligenz.
Unterstützt und begleitet wurde dies von einer weiteren Funktion des Anzugs: Durch ihn wurde das Bewußtsein des Trägers so stark, daß es eine »Geistübernahme« gestattete – die Aussendung von Projektionen, durch die fremde Wesen mental in den Verbund integriert werden konnten. Ein Vorgang, der selbst über riesige Entfernungen hinweg zielgenau funktionierte, und eine multiple Bewußtseinsspaltung in viele miteinander vernetzte Splitter zur Folge hatte, die Phantome, die dann alle im Sinne des Gesamtbewußtseins agierten.
Bei »positivem Verlauf« – einen ausreichend starken, moralisch gefestigten und integren Träger vorausgesetzt – war das Instrumentarium von Anzug und Sepzon-Gürtel ein Machtmittel, mit dem die Mächte der Ordnung gestärkt werden sollten, da in einem solchen Fall die Einbindung der Phantome zweifellos nicht unter Zwang, sondern auf freiwilliger Basis erfolgen würde, verbunden mit der langfristigen Perspektive, eine positive Superintelligenz entstehen oder weiter wachsen zu lassen.
Leider kam aber alles anders: War schon Morkhero ein denkbar schlechter Anzugträger, so entstand SEELENQUELL unter derart unzulänglichen Bedingungen – die genau das Gegenteil von dem waren, was als »optimal« anzusehen war –, so daß das Ergebnis eigentlich nicht zu verwundern braucht (siehe PR 2050 und PR-Kommentar 2098). Mehr noch: Die enthemmten und enthemmenden Einflüsterungen wuchsen in einer Weise zu Gier und Haß aus, daß die »ruhende« Ritteraura Perry Rhodans als feindlich betrachtet wurde – der zwar durch einen Zellaktivator kosmokratischer Fertigung unsterblich, inzwischen aber ein ehemaliger, ja ein »abtrünniger« Ritter der Tiefe ist, den sogar schon einmal der »Bann der Kosmokraten« getroffen hat ... Auf dem Weg zur Superintelligenz kann man keine Abkürzung nehmen! – Auch das ist ein Schlüsselsatz, der die Genese SEELENQUELLS begleitete: Wrehemo und die in den Prozeß eingebundenen »Ingredienzen« fanden unter Bedingungen zusammen, die von vornherein ein Scheitern wahrscheinlicher machten als einen Erfolg. Schon ungeeignet, den Sprung zu einer gefestigten Höheren Wesenheit durchzuführen, mußte der hin zu einer Superintelligenz in einen noch bedeutend instabileren Zustand münden!
Ausreichend Zeit vorausgesetzt, mit gebremster Ungeduld, ohne Gier und Haß, unterstützt vom Kraftfeld des »sechsdimensional funkelnden Juwels« im Solsystem, könnte das Konglomerat sicher »stabilisiert« werden, vielleicht sogar so weit, daß am Ende ein Ergebnis im »Sinne des Erfinders« herauskäme – doch diese Zeit dürfte SEELENQUELL eben nicht zur Verfügung stehen, zumal sich Perry Rhodan vehement wehrt.
Im Roman wird geschildert, wie diese Auseinandersetzung letztlich ausgeht ...
Rainer Castor