PERRY-RHODAN-Kommentar 2081


DAS WEISSE BAND


Mißbillige die schlechte Tat, bringe aber dem Täter Achtung, Mitleid und Wohlwollen entgegen, damit er zur Erkenntnis der Wahrheit gelange und gerettet werde.
Mohandas Karamchand Gandhi, genannt »Mahatma« (»dessen Seele groß ist«); 1869 bis 1948

Terra und das Solsystem sind von den von SEELENQUELL beeinflußten Arkoniden besetzt. Im Gegensatz zum militanten Widerstand der Ertruser treffen sie hier allerdings auf eine Form der »Gegenwehr«, die ihnen fremd und rätselhaft erscheint. In gewisser Weise dürfte es ihnen nicht einmal viel anders ergehen als den Briten fast 3000 Jahre zuvor: Auch sie wußten mit dem von Gandhi Satyagraha genannten Prinzip recht wenig anzufangen. Der britische Premier Winston Churchill nannte den Mann, der zur Symbolfigur des indischen Unabhängigkeitskampfes avancierte, sogar einmal abschätzig den »halbnackten Fakir«.

Es gab viele Übersetzungen und Übertragungen von Satyagraha: »Gütekraft«, »Festhalten an der Wahrheit«, »Macht der Liebe und Wahrheit«, »truthpower«, »Wahrheitskraft«, »soul force«, »Seelenkraft«. Im damaligen Abendland stand aber eigentlich kein geläufiges Wort zur Verfügung. Für Satyagraha hatte sich deshalb im englischen und im französischen Sprachraum »nonviolence« eingebürgert, als »Gewaltlosigkeit« wurde es zunächst ins Deutsche übernommen.

Im allgemeinen Sprachgebrauch schliff sich dieses Wort aber zu einer eher negativen Bedeutung ab, wurde zu keine Gewaltanwendung, und die positiven Inhalte, die Gandhi mit der Neuschöpfung betonen wollte, kamen im allgemeinen Bewußtsein kaum an. Ende der 60er Jahre des 20. Jahrhunderts wurde in Deutschland deshalb das Wort »Gewaltfreiheit« im Unterschied zur »bloßen« Gewaltlosigkeit vorgeschlagen.

Gewaltfreiheit schloß für Gandhi die Bereitschaft zum Kämpfen wesentlich mit ein, aber die Qualität und das Ziel dieses Kampfes unterschieden sich von gewaltsamen Konfrontationen grundlegend dadurch, daß auch der Gegner in das »verstehende befreiende Wohlwollen« mit einbezogen wurde.

Das umfaßte zunächst die Ablehnung jeglicher Gewalt, die den Gegner physisch verletzen oder töten könnte, beinhaltete darüber hinaus die Vermeidung von verbalen oder symbolischen Attacken (Beleidigungen, Spott, Demütigungen) und von Ressentiments (Haß, Groll, Rachegefühle) und forderte statt dessen eine positive, von Freundlichkeit, Dialogbereitschaft und Aufrichtigkeit bestimmte Haltung gegenüber dem Widersacher. Bewähren mußte sich diese Haltung auch und gerade dort, wo dem Gewaltfreien Repression und Gewalt – in welchem Ausmaß auch immer – entgegengebracht werden ...

Die von Roi Danton initiierte Gruppe Sanfter Rebell agiert exakt im Sinne von Gandhi, ihr Zeichen ist das weiße Tuch, die Binde oder Banderole am rechten Arm. Klar ist, daß Roi nicht nur seine Erfahrungen und sein Wissen als langlebiger Zellaktivatorträger zugute kommen – immerhin hat er mit der Organisation Guter Nachbar auf der Erde der Aphilie schon Vergleichbares erlebt –, sondern mehr noch die Terraner selbst maßgeblich und im besten Sinne mitarbeiten. Was sich schließlich am 20. Februar 1304 NGZ in Terrania abspielt, sucht wohl seinesgleichen, und die friedliche Großdemonstration am STARDUST-Memorial wird zweifellos als ein Glanzlicht in die terranische Geschichte eingehen.

Mehr noch: Allen Unkenrufen und berechtigten Zweifeln zum Trotz wurde hier genau jener Geist praktiziert, den Perry Rhodan mit der vielgeschmähten Thoregon-Agenda verbindet. Jenen Zielen, die mit Leben erfüllt werden müssen und letztlich vermutlich herzlich wenig mit dem zu tun haben, was wir inzwischen über die von den Helioten initiierten »Thoregons« wissen ...

Lassen wir abschließend Gandhi selbst zu Wort kommen: Ich sprach von Satyagraha, um diese Kraft von der Bewegung zu unterscheiden, die damals in Großbritannien und Südafrika unter dem Namen des passiven Widerstands lief. Der Grundgedanke der Satyagraha ist das »Festhalten an der Wahrheit«, darum heißt Satyagraha »Kraft der Wahrheit«. Ich habe es auch »Kraft der Liebe« oder »Kraft der Seele« genannt.

Schon bei den ersten Versuchen der Anwendung der Satyagraha entdeckte ich, daß das Streben nach Wahrheit nicht erlaubt, dem Gegner Gewalt anzutun, sondern daß er durch Geduld und Mitgefühl von seinem Irrtum abgebracht werden muß. Was der eine für Wahrheit hält, mag der andere als Irrtum ansehen. Und Geduld zu üben bedeutet, selbst zu leiden. Satyagraha nahm also die Bedeutung von Verteidigung und Rechtfertigung der Wahrheit an: Verteidigung nicht, indem man dem Gegner Leid zufügte, sondern indem man selbst Leiden ertrug.

Die Satyagraha ist vom passiven Widerstand so weit entfernt wie der Nordpol vom Südpol. Der passive Widerstand ist die Waffe der Schwachen, und dabei ist die Anwendung von physischem Druck oder verletzender Gewalt nicht grundsätzlich ausgeschlossen, um das Ziel zu erreichen. Dagegen ist Satyagraha eine Waffe für die Stärksten. Hierbei ist die Anwendung von Gewalt in jeder Form ausgeschlossen (...)

Satyagraha lebt aus sich selbst heraus. Satyagraha kann ohne vorherige Billigung der Gegner ins Spiel gebracht werden. Satyagraha besitzt die größte Ausstrahlungskraft dann, wenn der Gegner Widerstand leistet. Deshalb ist Satyagraha unwiderstehlich. Ein Satyagrahi kennt keine Niederlage, denn er kämpft unermüdlich für die Wahrheit (...)

Trotzdem wurde dagegen eingewandt, daß die Satyagraha – wie wir sie verstehen – nur von einer auserwählten Minderheit praktiziert werden könne. Meine Erfahrung beweist das Gegenteil. Werden ihre einfachen Grundsätze – Festhalten an der Wahrheit und durch eigenes Leiden dafür Einstehen – erst einmal begriffen, kann jeder die Satyagraha praktizieren ...

Zitiert nach Mohandas K. Gandhi: Satyagraha. Aus dem Bericht der Congress-Partei über die Unruhen im Punjab. In: M. K. Gandhis Collected Works, Vol. XVII, S. 151-157.

Rainer Castor