Nicht nur rein äußerlich hat die SOL nicht mehr viel mit jenem Raumschiff gemeinsam, das im Jahr 3540 von der in den Mahlstrom der Sterne verschlagenen Erde startete. Die goldglänzende Außenhülle – zunächst Carit, nun Solonium – und das auf doppelte Länge vergrößerte Mittelteil sind schon markant und auffällig, die Veränderungen im Inneren nicht weniger umfassend.
Der jüngste und wohl gravierendste Umbau erfolgte in den Jahren ab 826 NGZ, als das Hantelschiff in der Kosmischen Fabrik MATERIA für Shabazza umgerüstet wurde. Die Ersetzung der alten Außenhülle aus Ynkelonium-Terkonit-Verbundstahl sowie der Einbau des Hypertakt-Triebwerks im Mittelteil und den beiden SOL-Zellen gehörten hierzu ebenso wie das Anbringen der beiden zusätzlichen Flanschstücke von je 750 Metern Länge am Mittelteil. Letzteres wird weiterhin traditionell meist nur SOL genannt, während die 2500-Meter-Kugelraumer die Bezeichnungen SOL-Zelle-1 und -2 tragen, SZ-1 und SZ-2 abgekürzt.
Bezogen auf die Flugorientierung befindet sich hierbei die SZ-1 vorne – oder oben bei aufrechter Landung, die im Schwebezustand erfolgt, da die SOL über keine Landestützen mehr verfügt. Im SZ-1-Flanschstück, dessen Kopplungselemente wie die zwischen SZ-2 und SOL Repliken der tausendfach bewährten ursprünglichen Konstruktionen sind, waren riesige Automat-Werkstätten und die dazu gehörenden umfangreichen technischen Lager, ein weitläufiger Kabinenbereich sowie die Projektoren eines fortgeschrittenen Ortungsschutzes untergebracht, der jenem von Century I entsprach.
Im SZ-2-Flansch wurden vor allem neue Schutzschirmgeneratoren und -projektoren sowie die Permanentzapfer mit ihrer Peripherie eingebaut; letztere dazu gedacht, die gewonnene Energie im leistungsunabhängigen 5-D-Transfer insbesondere an die Hypertakt-Triebwerke weiterzuleiten.
Von den Permanentzapfern und dem zentralen Achs-Antigravschacht abgesehen – weil gesondert abgeschirmt – wurden alle Aggregate im Zuge der Ereignisse der Rückeroberung zerstört. Der Terminierungsbefehl, den Shabazza einst von Cairol dem Zweiten erhalten hatte, griff auch auf die SOL über, ließ SOLHIRN explodieren und andere Einrichtungen an Bord ausfallen.
Die beiden Flanschstücke wurden weitgehend verwüstet, so daß die meisten Sektionen unerreichbar oder die Gänge, Korridore und Antigravschächte dorthin unpassierbar sind. Was sich also genau in diesen Trümmern alles an Gefahren und unangenehmen Überraschungen verbirgt – und sei es auch »nur« in Form irregulär arbeitender Aggregatreste –, läßt sich ohne Untersuchung vor Ort nicht sagen.
Die grundsätzlichen Daten zum Umbau der SOL konnten zwar mit Hilfe der Erranten beim Einsatz in MATERIA von Gucky, Blo Rakane und Monkey mitgenommen werden. Doch das sagt leider herzlich wenig darüber aus, was an zusätzlicher »Fracht« beispielsweise in den technischen Lagern gebunkert, später im Laufe der Zeit von Shabazza oder seinen Korragos eingebaut, verändert oder eingelagert wurde. Es kann nicht einmal ausgeschlossen werden, daß auf Befehl von Cairol dem Zweiten oder gar von Torr Samaho selbst die eine oder andere »Teufelei« integriert wurde, um ein zusätzliches Druckmittel gegen Shabazza zu haben ...
In Vorbereitung auf den Kampf gegen MATERIA wurde im Frühjahr 1291 NGZ zwar die Zeit auch genutzt, um die SOL – der Name THOREGON VI hat sich nicht durchgesetzt – »auf Vordermann« zu bringen. Das jedoch betraf die maßgeblichen Funktionen unter Ausklammerung der verwüsteten Flanschstücke. Danach blieb der auf etwas über 6000 Mitglieder aufgestockten Besatzung keine Zeit, sich großartig um unzugängliche Sektoren zu kümmern. Es ging Schlag auf Schlag weiter: Kampf gegen MATERIA, Flug mit Wanderer nach DaGlausch, Vorstoß in den Kessel und die Passage durch den Mega-Dom des PULS in die Vergangenheit von Segafrendo, und auch dort hatte man anderes zu tun.
Einsame Rufer in der Wüste waren und sind die Dookies, ironisch als »Schatztaucher« bezeichnet. Zumindest ihnen beweisen die bislang in den Trümmern entdeckten Artefakte, daß weiterhin mit unangenehmen Überraschungen zu rechnen ist, um nicht zu sagen mit Gefahren und tödlich bedrohlichen Dingen. Andererseits könnte auch das Gegenteil der Fall sein – so zumindest der Eindruck, den Necker Ravved von der Stange hatte, die von den von ihm Rider genannten, an Kleinstlebewesen auf subatomarer Ebene erinnernden Gebilde offensichtlich umstrukturiert oder repariert wurde.
Necker war und ist überzeugt, daß diese Stange ein lebenswichtiges Gerät ist, um irgendwo bestehen zu können, obwohl er nicht die geringste Ahnung hat, wo das sein mag. Bis auf weiteres ruht das Gebilde in einem Hochsicherheitstrakt der Bordlaboratorien unter Stasis- und Schutzfeldern (siehe PR-Roman 2044).
Inwieweit die jetzt beim Flug nach Clurmertakh auftretenden Phänomene ihre Ursache in weiteren Hinterlassenschaften der SOL-Flansche haben oder Ausdruck des »verbotenen« Clusters 0057 sind, muß offen bleiben. Ausgeschlossen ist jedoch nicht, daß die Dookies mit ihren Warnungen unter Umständen richtiger liegen, als sie vielleicht selbst ahnen. Ihr gespanntes Verhältnis zur Schiffsführung, insbesondere zur Kommandantin Fee Kellind, braucht dagegen nicht zu verwundern, denn selbst wenn die gesamte Besatzung einschließlich der 95.000 Mom’Serimer nichts anderes täte, als in den Trümmern herumzukriechen und sie durchzuwühlen, wäre das eine Aufgabe für Jahre!
Beide Flanschstücke zusammengenommen ergeben immerhin einen Zylinder von 1500 Metern Höhe und gleichem Durchmesser. Wenn wir großzügig rechnen, den Ringwulst außen vor lassen und eine lichte Deckhöhe von 50 Metern annehmen, ergibt das 30 Decks in einem Volumen von 2,65 Kubikkilometern; insgesamt eine Fläche von 53 Quadratkilometern – rund 28 mal die Insel Helgoland!
Rainer Castor