PERRY-RHODAN-Kommentar 2074


DIE DRYHANEN


Im Verlauf der mehr als 20.000jährigen Geschichte der Arkoniden gingen aus ihnen mehrere tausend Kolonialvölker hervor. Viele von ihnen waren und sind äußerlich nicht von den Bewohnern der Arkon-Welten zu unterscheiden, andere dagegen – Zaliter, Preboner, Ekhoniden und viele weitere – weichen mitunter recht deutlich vom »arkonidischen Idealtypus« ab.

Diese Entwicklung blieb auch den Siedlern von Gorians Planet nicht erspart: Diese Welt – die zweite von insgesamt fünf – ist nur 132 Lichtjahre von Arkon entfernt und gehörte zu jenen, die mit den ersten Besiedlungswellen in der Zeit um 2300 da Ark (17.712 vor Christus) erschlossen wurden. Die Lage außerhalb des Kugelsternhaufens Thantur-Lok wurde zeitweise als »strategisch günstig« betrachtet, erwies sich dann jedoch als gravierender Nachteil, denn das Gorian-System befindet sich nahezu exakt oberhalb von Arkon, während spätere Kolonialbewegungen Richtung Milchstraßenhauptebene nach »unten« ausgerichtet waren.

Ohnehin schon »weit ab vom Schuß«, kam der zivilisatorische Rückfall in der Zeit der Archaischen Perioden hinzu sowie als weiterer Nachteil, daß die Planeten dieses Systems keinerlei wirtschaftliche oder wissenschaftliche Bedeutung erlangten. Die geringe Durchschnittstemperatur und die auf zwei kleine Hauptkontinente beschränkte Landmasse machten Gorians Planet für die Arkoniden erst recht unattraktiv – und so kam es, daß sogar nach dem Ende der Archaischen Perioden und der Wiederentdeckung der interstellaren Raumfahrt den Siedlern kein Aufschwung beschert war.

Trotz oder gerade deswegen erwiesen sich die »Gorianer« als außergewöhnlich imperatorentreu – von sich selbst sprachen sie als Dryhanen, benannt nach der vierten Periode (Monat) der Arkonjahres, dem Dryhan, weil am 1. Prago des Dryhan 3953 da Ark erstmals wieder ein arkonidisches Raumschiff auf Gorians Planet landete, verbunden mit der Nachricht, daß Seine Erhabenheit Imperator Zoltral II. verstorben sei und nun sein Nachfolger Barkam I. (später »der Große« genannt) den Kristallthron bestiegen habe.

In jener Zeit wurde der Grundstein gelegt, daß die Dryhanen damals als personifizierte Loyalität angesehen wurden. Mit der Zeit entwickelte sich die Imperatorentreue zu einem von Außenstehenden eher belächelten Sektierertum, sahen die Dryhanen doch Seine Millionenäugige Erhabenheit bald nicht mehr als gewöhnliches Wesen, sondern als weltliche Vorstufe und Inkarnation eines der She’Huhan-Sternengötter.

Neben der zweifellos außergewöhnlichen (und mit 138 Arkonjahren sehr langen) Herrschaftszeit Barkams I. spielte hierbei die Entwicklung der als Dryhanensinn umschriebenen paranormalen Orter-Fähigkeit eine maßgebliche Rolle: Bei entsprechender Konzentration konnten sich alle Dryhanen auf ein anderes Bewußtsein einstimmen und dessen Gemütszustände spüren.

Diese Fähigkeit reichte zwar nicht an Telepathie heran, nicht einmal an die vollwertiger Empathen, dennoch war es eine, die sie im Laufe der Zeit zu gefragten Leibdienern der Imperatoren machte, weil sie sich so sehr auf den Herrscher und seine Familie einstimmen konnten, daß umständliche Erklärungen fortfielen – zumal sich diese Begabung mit der sprichwörtlichen Treue bis in den Tod verband. Vermutet wurde, daß die Paragabe als Folge der in den Archaischen Perioden wütenden Hyperstürme ausgebildet wurde und zunächst nichts anderes darstellte als eine erhöhte Sensibilität für hyperenergetische Vorgänge.

In den Jahren um 4000 da Ark war diese spätere Entwicklung noch nicht abzusehen. Maßgeblich war aber, daß in jener Zeit der Paraphysiker Belzikaan (geboren 3861 da Ark, gestorben 4103 da Ark) am Faehrl-Institut auf der ARK SUMMIA-Prüfungswelt Goshbar seine epochalen Forschungen vornahm. Er nannte die Erforschung des Paranormalen und Transpersonalen die »Zwiespältige Wissenschaft«, um den Unterschied und die Trennung von den übrigen konventionellen und hyperphysikalischen Fakultäten zu markieren.

Seine Forschung wurde maßgeblich beeinflußt vom erneuten massiven Auftreten der sogenannten Individualverformer, kurz IV, von den Arkoniden in Ergänzung ihrer vokallosen Sprache auch VeCoRat XaKuZeFToNaCiZ genannt: insektoide Geschöpfe, die die beängstigende Fähigkeit besaßen, rein geistig den eigenen Individualkörper zu verlassen und auf einen anderen überzuspringen – wobei es zum Austausch mit dem Bewußtsein des Opfers kam, das im Vecorat-Körper zur Handlungsunfähigkeit verurteilt war.

Nur dem Eingreifen der Großen Feuermutter – unterstützt vom Dyhanensinn der »Gorianer« – war es zu verdanken, daß der Invasionsversuch der IVs aufgedeckt und abgewehrt werden konnte. Einen weiteren massiven Vorstoß dieser Art unternahmen sie erst rund dreitausend Erdjahre später und entwickelten sich letztlich zu den »Erzfeinden« der Arkoniden.

In den nachfolgenden Jahrtausenden wurden die Dryhanen zu jenen fast wie die Naat-Leibgardisten zum »Inventar« des Kristallpalastes gehörenden Dienern, denen die körperliche Veränderung hin zu kleinen, ausgezehrt und uralt wirkenden Gestalten das Flair der personifizierten Würde verlieh. Seit der Einführung der Hanischen Zeremonie, deren Höhepunkt das Erscheinen der Statue aus khygischem Kristall von Imperator Yobilyn I. war, auf dessen Regnum spätere Dryhanen ihre »Herkunft« zurückführten, gewannen sie auch mit Blick auf das an Festivitäten keineswegs arme Arkonjahr durch das Dryhanenfest Bedeutung.

Die Zeit von Niedergang, Herrschaft des Robotregenten, des Vereinten Imperiums und – nach der Vernichtung von Arkon III durch die Blues – der »Epoche der Zersplitterung« blieb auch auf die Dryhanen nicht ohne Wirkung. Erst mit Erstarken der imperialistischen Tendenzen, vor allem in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts NGZ, erfuhren sie eine Renaissance – um so tiefer trifft sie naturgemäß die Ablehnung des neuen Imperators Bostich II. ...

Rainer Castor