PERRY-RHODAN-Kommentar 2067


KRISENFALL KARTHAGO


Die Ereignisse überschlagen sich förmlich. Nicht einmal einen Monat nach ihrem Entstehen zeigt die junge Superintelligenz SEELENQUELL mehr als deutlich die Krallen: Der Flottenaufmarsch im nur 815 Lichtjahre von Terra entfernten Orion-Delta-System wird forciert und erreicht schließlich 380.000 Einheiten des Huhany’Tussan.

Überdies kontert SEELENQUELL Imperator Bostichs Entführung von Ertrus auf höchst unorthodoxe Weise – die ehemalige Hand wird fallen gelassen wie eine heiße Kartoffel, schlicht und einfach »für tot erklärt« und mit einer erschreckenden Geschwindigkeit durch den Nachfolger Enzon da Bostich ersetzt, angeblich Gaumarol da Bostichs unehelicher Sohn und designierter Kristallprinz, fortan Seine Erhabenheit Bostich II.

Das fingierte Attentat auf Urankan-5, für die galaktische Öffentlichkeit inszeniert und für diese eindeutig von terranischen TARA-V-UH-Kampfrobotern vollzogen, ist zugleich auch der (zusätzliche) Vorwand, die LFT anzugreifen. Gaumarol da Bostich, den nun alle für tot halten, ist plötzlich keineswegs mehr die Trumpfkarte, mit deren Hilfe zum Widerstand gegen SEELENQUELL aufgerufen werden könnte, sondern Anlaß, daß Imperator Bostich II. der LFT am 24. Januar 1304 NGZ den Krieg erklärt ...

Parallel zu diesen Ereignissen werden im Zuge der mit Krisenfall Karthago verbundenen Generalmobilmachung fast 250.000 Raumer der Liga Freier Terraner im Solsystem zusammengezogen, zu denen noch die 55.000 halutischen Kampfschiffe hinzuzurechnen sind. Perry Rhodan hat darüber hinaus die durchaus berechtigte Hoffnung, daß weitere Verstärkung in Gestalt von Fragmentraumern der Posbis eintreffen wird.

Rechnet man die Drei-zu-eins-Überlegenheit durch NATHANS Unterstützung beim Umschalten auf den Positronikkampfmodus hinzu, sieht die Angelegenheit auf den ersten Blick keineswegs schlecht aus: Zum Systemschutz werden die Blockadegeschwader 1 bis 6 von den soeben fertiggestellten, ursprünglich im Kreit-System stationierten und nun wieder zur Soll-Stärke aufgestockten Blockadegeschwader 19 bis 24 verstärkt; die Aagenfelt-Barriere des Solsystems steht also, die Besatzungen der WÄCHTER-Schiffe wurden natürlich strengstens überprüft, so daß sich »Schwachstellen«, wie sie noch beim Kampf um Ertrus auftraten, nicht wiederholen werden.

Leider sind die im Bau befindlichen stationären Festungsversionen, die in ihrer Funktion nicht auf Minengürtel angewiesen sind, sondern einfliegende Raumer zu 80 Prozent direkt in den Kern der Sonne ablenken können, noch nicht einsatzbereit, obwohl die Indienststellung für den Beginn des Jahres 1304 NGZ in Aussicht gestellt wurde (was die Frage erlaubt, ob SEELENQUELL gerade deshalb jetzt losschlägt – immerhin ist mit Julian Tifflor ein terranischer Geheimnisträger eine seiner Hände ...).

Wie sich die Ereignisse im einzelnen entwickeln, schildert der Roman, deshalb werden wir an dieser Stelle einmal einen Blick in die Vergangenheit werfen – schließlich wird das Solsystem nicht zum erstenmal bedroht und es gab schon eine Reihe dem Krisenfall Karthago vergleichbarer Planungen, die mit unterschiedlichem Erfolg zum Einsatz kamen. Mai 2044: Fall Kolumbus. In Erwartung der (Wieder-)Entdeckung der in jener Zeit noch als zerstört geltenden Erde waren entsprechende Planungen erstellt und ständig aktualisiert worden; auf einen Angriff von etwa 8000 Schiffen der Druuf war man jedoch nicht vorbereitet, ohne die Hilfe Atlans, damals Imperator Gonozal VIII., wäre es wohl schlecht um das Solare Imperium bestellt gewesen. Für Terra jedenfalls war die Zeit des Versteckspiels vorbei, eine neue Epoche der galaktischen Politik begann. Oktober 3430: Fall Laurin. Im Zuge des 500-Jahres-Plans hatte man sich auf einen Angriff der vom Solaren Imperium abgefallenen Kolonien und den daraus hervorgegangenen Nachfolgereichen eingestellt und den Bau der Anlagen für ein systemumspannendes Antitemporales Gezeitenfeld vorangetrieben. Das Sol- wurde zum Ghost-System, die Attacke fuhr ins Leere; die Transmitter-Container-Straße nach Olymp sicherte die Versorgung, als Sekundärplanung war die Erstellung eines systemumspannenden Paratronschirms möglich. Ab Dezember 3458: Fall Harmonie. Als Folge des »Kosmischen Schachspiels« zwischen ES und Anti-ES wurden weitere Verwicklungen erwartet, die auch prompt mit den Laren und dem Hetos der Sieben kamen. Der Fall Harmonie sah ein gestaffeltes Reaktionsschema vor; neben einer erneuten Aktivierung des ATG-Felds gehörte dazu eine dezentralisierte Sicherung des Wissens NATHANS sowie letztlich auch die Versetzung von Erde und Mond durch den Sol-Kobold-Sonnentransmitter. Daß letztere im Mahlstrom der Sterne statt beim angestrebten Ziel des Archi-Tri-Trans-Sonnentransmitters endete, ist ein Thema für sich (das in vielfacher Hinsicht dank der neuen Erkenntnisse über die Geschichte von ES unter erweiterten Aspekten zu sehen ist).

Nach diesen Beispielen nun also, im Januar 1304 NGZ, Krisenfall Karthago – bei dem es sich nur um eine von einer ganzen Reihe möglicher Einsatz- und Reaktionsplanungen handelt, jede davon auf eine ganz spezifische Situation abgestimmt. Wer sich allerdings in der terranischen Geschichte auskennt, dem stellt sich zweifellos die Frage: Nomen est omen ...? Und kann es da verwundern, daß der zum Krisenfall Karthago bestehende Alternativplan Karthagos Fall heißt?

Karthago wurde von den Phönikern aus Tyros im 9. Jahrhundert vor Christus gegründet, die karthagische Macht wuchs im Mittelmeerraum zwar beachtlich, die Stadt übernahm den Schutz der phönikischen Kolonien im Westen, und ein umfassendes System von Verträgen verschloß den Handelschiffen anderer Völker das nordwestliche Mittelmeer – dann jedoch geriet Karthago in den Konflikt mit Rom, der im dritten Punischen Krieg mit der Zerstörung der Stadt und der Versklavung der Bewohner endete ...

Rainer Castor