Der Beginn des Jahres 1304 NGZ steht ganz ohne Zweifel unter keinem guten Stern. Es ist eine müßige Frage, ob es nicht auch unter »normalen Bedingungen« zu einer Eskalation gekommen wäre. Immerhin hatte Imperator Bostich I. mit der Ausrufung des Göttlichen Imperiums einen Paukenschlag verbunden: Subtor – nun Arkon III – wurde mit technischen Mitteln versetzt, deren erweiterte Möglichkeiten über kurz oder lang noch ganz andere Ergebnisse hätten erzielen können (oder gar erzielen werden ...); das Synchronsystem der drei Arkonwelten ist also wieder komplett; das Arkon-System selbst vom Kristallschirm abgeriegelt.
Mit SEELENQUELL jedoch trat all das in den Hintergrund, die Ereignisse bekamen eine neue Dimension. Perry Rhodan war dabei, als die negative Superintelligenz entstand. Daß er und Zheobitts Leute mit der ZENTRIFUGE entkamen, läßt sich nur durch die besondere Ausnahmesituation erklären, die auch die weiteren Handlungen bestimmte. Der Versuch, der Galaxis die neue Lage zu verkünden, war notwendig, allerdings von vornherein eher zum Mißerfolg verdammt.
SEELENQUELLS erster Schachzug ließ der Liga Freier Terraner keine Wahl. Der Rückzug aus dem Galaktikum, das Verlassen von Mirkandol war die einzige Möglichkeit, halbwegs angemessen auf den ersten Auftritt des »Verkünders des Imperators« zu reagieren, dieses seltsame Gespann aus Morkhero Seelenquell und Julian Tifflor.
Ob die Signalwirkung von der galaktischen Öffentlichkeit verstanden und richtig eingeordnet wurde, bleibt abzuwarten. Zu viele Verantwortliche sind unter Umständen schon zu SEELENQUELLS Händen geworden. Zumindest aber konnte verhindert werden, daß LFT-Mitglieder zu Geiseln wurden. SEELENQUELL ließ die LEIF ERIKSSON ziehen; ein Angriff auf das LFT-Flaggschiff im Arkon-System hätte sich zu seinen Ungunsten ausgewirkt.
Noch ist nicht klar, wie ausgeprägt der Einfluß der Superintelligenz, die auf dem neuen Arkon III ihr »Quartier« bezogen hat, wirklich ist. Es muß allerdings davon ausgegangen werden, daß sämtliche Hände Morkheros zu solchen SEELENQUELLS geworden sind – also die maßgeblichen Vertreter der Blues, jene des Kristallimperiums inklusive Bostich I. sowie vermutlich viele, wenn nicht alle Botschafter des Galaktikums. Da die arkonidischen KrIso-Netze, dank Aktakuls Vorarbeit, keinen Schutz bieten, dürfte, sofern noch nicht geschehen, in absehbarer Zeit die Zahl der beeinflußten Arkoniden und Arkoniden-Abkömmlinge in die Millionen oder gar Milliarden gehen.
Zwar aus der Not geboren, jedoch konsequent und mit der Chuzpe, wie wir sie von Terranern gewohnt sind, wurde der Einsatz auf Ertrus geplant und verwirklicht. Rhodan, als Vertreter der LFT, und Monkey, als Chef der USO, überwanden durchaus bestehende »Unstimmigkeiten«, arbeiteten zusammen und – hatten Erfolg. Daß sogar die am Einsatz beteiligten TLD-Agenten und USO-Spezialisten bis quasi zum letzten Moment eine ganz andere »Zielperson« vermuteten, zeigt mehr als deutlich, wie außergewöhnlich der Plan war und gleichzeitig doch so naheliegend!
Berücksichtigen wir nämlich die Hintergründe, gab es letztlich gar keine andere Wahl: Ein solches Kommandounternehmen läßt sich nur mit dem Überraschungseffekt durchziehen, eine Wiederholung ist ausgeschlossen. Sich in einem solchen Fall auf die »zweite Garde« zu beschränken ist nicht sinnvoll – bei aller Freundschaft zu und Sorge um Julian Tifflor und ungeachtet dessen, was immer man auch von Imperator Bostich halten mag ...
Wenn also schon ein überaus risikoreicher Zugriff, dann gleich auf die maßgebliche Person an der Spitze, die der Schlüssel zu Arkon ist! Denn Arkon gehört SEELENQUELL; Arkon ist zweifellos seine wichtigste militärische Machtbasis, und nur der Imperator selbst kann helfen, diese Machtbasis zu unterminieren. Sein Insiderwissen, mehr aber noch er als Person in der ganzen Symbolwirkung waren das Ziel: Stellt er sich auf die Seite der LFT, bestätigt Rhodans Bericht über die negative Superintelligenz, gibt es vielleicht eine Chance im Kampf gegen die Superintelligenz.
An Bord der LEIF ERIKSSON bemüht man sich, Bostich aus den Fängen SEELENQUELLS zu befreien – ein durchaus risikobehaftetes Vorhaben, wie die bisherigen Erfahrungen mit den Händen zeigten. Unterdessen sind die an anderer Stelle beobachteten Ereignisse keineswegs dazu angetan, Optimismus zu wecken. Der kristallimperiale Flottenaufmarsch im Orion-Delta-System, quasi im Herzen der LFT, wo ohnehin schon die 17. Imperiale Flotte unter Mascant Baraschins Oberkommando stationiert ist, verheißt nichts Gutes.
Während also die terranische Seite mit der Entführung des Imperators beschäftigt war, blieb SEELENQUELL alles andere als untätig. Inwieweit die Superintelligenz hier auf ohnehin vorhandene Pläne und Szenarien des kristallimperialistischen Flottenzentralkommandos zurückgriff oder diese in eigener Regie entworfen hat, ändert nichts am Ergebnis, daß SEELENQUELL sich offensichtlich des härtesten Gegners mit militärischen Mitteln zu entledigen beabsichtigt.
Entsprechende Vorlaufzeiten berücksichtigt, die mit solchen Manövern zwangsläufig verbunden sind, muß davon ausgegangen werden, daß SEELENQUELL auch ohne den Einsatz von LFT und USO auf Ertrus diesen Zug plante. Daß überdies nach Bostichs Entführung in jedem Fall eine Reaktion folgen würde, war andererseits ebenfalls klar: Rhodan und den übrigen Verantwortlichen beordern die aus 47.000 kampffähigen Einheiten bestehende LFT-Flotte ausnahmslos ins Solsystem, für die übrigen LFT-Welten und assoziierten Systeme und Planeten wird die Generalmobilmachung eingeleitet, und in der blauweißen Sonne Relgrön wartet weitere Verstärkung ...
Aber: Binnen sechs Minuten ist das Solsystem von einem Flottenaufgebot zu erreichen, das seinesgleichen sucht – der Verteidigungsfall für die Erde wird akut, der Krisenfall Karthago!
Rainer Castor