PERRY-RHODAN-Kommentar 2059


DIE ASTRONAUTISCHE REVOLUTION


Einem außenstehenden Beobachter des Landes Dommrath drängt sich ein recht zwiespältiges Gefühl auf. Bezogen auf den bisherigen Informationsstand Trim Maraths und Startac Schroeders muß vieles zwar zwangsläufig noch als offen betrachtet werden, doch die bislang gewonnenen Erkenntnisse ergeben ein Bild, das einen schwanken läßt. Spiegeln die Verhältnisse in dieser Galaxie einen goldenen Käfig oder ein realisiertes Utopia wider? Die Wahrheit liegt vermutlich wie so oft irgendwo in der Mitte.

Allgemeiner Wohlstand, Völkerverständigung und die Kontakte untereinander sind zweifellos bemerkenswert. So hat im Land Dommrath eine auffallend starke »Durchmischung« der Völker stattgefunden: Zehn bis zwanzig Prozent einer planetaren Bevölkerung sind über die Portale zugewanderte Fremde, die sich im Verlauf der Generationen vermehrt und den örtlichen Bedingungen angepaßt haben. Vergleichbares dürfte in der Milchstraße bestenfalls auf Welten wie Lepso vorzufinden sein.

Die von den Dommrathischen Verkündern vertretene Philosophie hat auf den ersten Blick durchaus einiges für sich. Die Do’Tangulhai genannte Ordensgemeinschaft, die sich als »Hüter der Moral« empfindet, betrachtet die Freiheit des Individuum als oberstes Gebot; ihr soziales Eintreten für Notleidende, Verfolgte und Gedemütigte oder die Hilfe bei Katastrophen ist zweifellos positiv.

Sogar die in den drei Dogmen vertretenen Thesen klingen nicht schlecht: Der Friede im Land Dommrath ist das höchste Gut; die Freiheit der Bewohner des Landes Dommrath soll so wenig wie möglich eingeschränkt werden, es sei denn dies kollidiert mit dem Ersten Dogma; die Bewohner des Landes Dommrath bilden eine friedliche Wohlstandsgemeinschaft. Die Stabilität des Wohlstands soll nicht gefährdet werden. Niemand soll aus der Gemeinschaft ausgeschlossen werden, es sei denn dies kollidiert mit dem Ersten oder dem Zweiten Dogma.

Aber alldem liegt das Herrschaftsprinzip der sich sehr bedeckt haltenden Ritter von Dommrath zugrunde. Diese Geheimnisvollen bestimmen aus dem Verborgenen heraus, sie kontrollieren die Portal-Transmitter des Dommrathischen Netzes, von ihnen stammt das Verbot der Raumfahrt, bei ihnen liegt das Gewalt- und auch das Technologiemonopol.

Vereinbart sich das mit der propagierten Freiheit? Auf den ersten Blick durchaus, denn bezogen auf die Reisemöglichkeiten, die die Portale bieten, kann ein Bewohner des Landes Dommrath leichter und weiter in seiner Sterneninsel herumkommen als ein vergleichbarer Normalbürger in der Milchstraße. Andererseits endet diese Freiheit, wenn es sich um die beliebige Bewegung in Form von Raumfahrt dreht.

Kein Wunder, wenn da eine Bewegung wie die Astronautische Revolution Zulauf findet, deren Credo lautet: Den Völkern von Dommrath gehören nicht nur die Planeten, nicht allein das, was ihnen die Ritter so »großmütig zugestehen«, sondern auch die nicht ins Do’Tarfryddan eingebundenen Sterne und ihre Welten, letztlich das Universum in seiner ganzen Weite. Denn jeder hat das Recht, eigene Fehler zu begehen und eigene Erfolge zu feiern ...

Ruben Caldrogyn, der Anführer der Astronautischen Revolution und der Dominant-Forscher seines Volkes der Sambarkin, ist alles andere als ein Kriegstreiber. Sein Widerstand richtet sich gegen die Bevormundung der Ritter, gegen ihre Art der mehr oder weniger subtilen Beeinflussung, die nicht nur auf Yezzikan Rimba die technische Weiterentwicklung hemmte und hier sogar für lange Zeit verhinderte, so daß nicht einmal der Begriff Raumfahrt gedacht oder ausgesprochen werden konnte.

Kontrollmechanismen, die an die Funktion der Portale gebunden sein dürften, werden ebenso vermutet wie paranormale Beeinflussungsmöglichkeiten, »Suggestoren der Ritter«. Beweise gibt es noch nicht. Die Ritter selbst hüllen sich in Schweigen, bleiben außerhalb jeder Zugriffsmöglichkeit. Ruben Caldrogyn steht vor dem Problem, gegen »jemand« vorgehen zu müssen, der nicht faßbar ist und bleibt, der nicht in Erscheinung tritt, der Übergriffe eher mit Milde beantwortet, der schon den Ansatz von Haß durch Wohlstand erstickt und jede Gelegenheit nutzt, seine moralische Überlegenheit praktisch zum Ausdruck zu bringen.

Mag zu Beginn die Astronautische Revolution von regem Zulauf gesegnet gewesen sein, so verliert sie inzwischen das Interesse der Öffentlichkeit: Mangel ist mit ihr nämlich nicht verbunden; die weiterhin gestattete Nutzbarkeit des Dommrathischen Netzes zeigt vielmehr auf, daß die Astronautische Revolution keinerlei Unterschied im tagtäglichen Leben bedeutet, weder den Völkern noch dem einzelnen Vorteile beschert.

Selbst die überall aktiv werdenden Raumschiffe der Legion stellen in ihrem Vorgehen den hohen moralischen Anspruch der Ritter unter Beweis; ihre technische Überlegenheit gestattet es ihnen, die eher behelfsmäßigen Raumer der Astronautischen Revolution unter Minimierung der Opfer kampf- und flugunfähig zu machen. Industrielle Zentren der eben erst aufkeimenden Raumfahrt werden gezielt lahmgelegt, und sogar diese Aktionen zeigen eine bemerkenswerte Rücksicht, Übergriffe auf die Bevölkerungen werden vermieden, denn vor Beginn der Aktionen wird ihnen die Gelegenheit gegeben, sich über die Portale in Sicherheit zu bringen.

Irgendwie klingt das alles viel zu schön, um wahr zu sein. Kein Wunder also, daß Trim und Startac fast zwangsläufig nach einem bissigen Reptil Ausschau halten – kein Paradies ohne Schlange. Wo aber ist der Haken? Wer verbirgt sich wirklich an Bord der Legionsschiffe? Was hat es mit der von Keifan berichteten Seuche auf sich, jener explosiven Zelldeformation, die den Druiden an den Gen-Defekt der beiden Monochrom-Mutanten erinnert?

Zu viele Fragen bleiben offen. Ob sie beantwortet werden können, wird sich zeigen müssen – denn das Auftauchen der Raumer der Außenland-Kolonisten verheißt nichts Gutes ...

Rainer Castor