PERRY-RHODAN-Kommentar 2053


DIE KARTEN SIND NEU GEMISCHT


Solange sich die Auseinandersetzung auf »normalem« galaktopolitischen Niveau bewegte, war sie schon brisant genug: Das forcierte Machtstreben Imperator Bostichs I., gipfelnd in der Ausrufung des Huhany’Tussan, dem Göttlichen Imperium, wurde bedrohlich überschattet von der heraufziehenden Kriegsgefahr. Der Herrscher auf dem Kristallthron hatte einen Krieg zwar nicht direkt im Auge, aber es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß er zur Durchsetzung seiner Ziele sogar auf dieses letzte Mittel zurückgegriffen hätte.

Doch dann entstand SEELENQUELL ...

Perry Rhodan, der die Genese dieser negativen Superintelligenz quasi hautnah miterlebte, weiß genau, daß die Auseinandersetzung nun eine völlig neue Qualität erreicht hat. Es ist nicht das erste Mal, daß er es mit höheren Entitäten zu tun hat. Im Gegensatz zu den mit der Kaiserin von Therm, BARDIOC oder Seth-Apophis gemachten Erfahrungen haben wir es nun jedoch nicht mit irgendwo weit draußen im Universum angesiedelten Geschehnissen zu tun, sondern mit solchen, die direkt vor der eigenen Haustür angesiedelt sind, sofern nicht sogar von im eigenen Haus gesprochen werden muß.

Mit Geschehnissen überdies, die die ohnehin schon gespannte Situation auf die Spitze treiben: Bestand mit Blick auf die Expansion des Kristallimperiums noch die – wenngleich vielleicht vage – Hoffnung, aus den Reihen der galaktischen Völker eine Allianz zu schmieden, sollte es hart auf hart kommen, haben sich durch Morkhero Seelenquells »Vorarbeit« die Machtverhältnisse ganz zu Ungunsten der Liga Freier Terraner verschoben.

Sicher wäre es extrem schwierig geworden, aber Hunderte kleinerer Völker und Sternenreiche, teils ins Forum Raglund eingebunden, teils völlig eigenständig, die sich bislang komplett zurückhaltenden Haluter und Posbis sowie die gesamte Eastside mit den Jülziish bildeten zusammen mit der LFT, allen internen Unstimmigkeiten, diplomatischen Differenzen und unterschiedlichen Interessen zum Trotz, dennoch ein Gegengewicht zum Gos’Tussan.

Das hat sich nun geändert!

SEELENQUELL ist dabei, das von ES hinterlassene Machtvakuum auszufüllen. Noch ist nicht bekannt, über welche Möglichkeiten die negative Superintelligenz verfügt. Fest dürfte aber stehen, daß es sich zumindest um sämtliche auch schon Morkhero zur Verfügung stehenden handelt – zweifellos aber in einem vielfach stärkeren Maß. In SEELENQUELL flossen die Übernommenen Morkheros ein, seine »Hände« werden nun von der Superintelligenz – geschützt vom Kristallschirm des Arkon-Systems – genutzt, sie gebietet über das Kristallimperium ebenso wie über die Blues-Völker. Und es kann nicht ausgeschlossen werden, daß es weitere Beeinflußte gibt, die sich bislang noch nicht als solche offenbart haben.

Als gerade erst entstandene Entität ist SEELENQUELL natürlich bemüht, ihre Existenz noch nicht an die große Glocke hängen und die Herrschaft zu konsolidieren. Imperator Bostichs Auftritt nach Rhodans »Botschaft an die Galaxis« spricht hier eine deutliche Sprache. Daß der Terranische Resident versuchen mußte, die auf Arkon I gewonnenen Erkenntnisse einer größtmöglichen Öffentlichkeit zugänglich zu machen, war eine zwangsläufige Folge der Entwicklung.

Ebenso war allerdings auch mit der Reaktion zu rechnen, wie sie dann kam. Kurzfristig läßt sich auf diese Weise SEELENQUELLS Existenz verschleiern – langfristig dürfte jedoch die Zeit, zumindest was die korrekte Einschätzung der Situation betrifft, für den Terraner arbeiten.

Leider dürfte es dann zu spät sein. Schon die Steuerung aus dem Hintergrund heraus läßt keinen Zweifel daran aufkommen, daß SEELENQUELL die gesamte Milchstraße mit allem und jedem, der hier lebt, als seine ureigene Mächtigkeitsballung betrachtet. Was das zu bedeuten hat, wurde bei der außerordentlichen Sitzung des Galaktikums am 4. Januar 1304 NGZ mehr als deutlich: Der Auftritt des Gespanns Tifflor-Morkhero als »Verkünder des Imperators« ist eine Sensation, die belegt, wie sicher sich SEELENQUELL inzwischen fühlt.

Geschickt wird sogar mit den eher unbewußten Ängsten gespielt, die seit den Gerüchten der Ankündigung des Kosmokraten Hismoom um das »Jahrtausend der Kriege« grassieren: Der Unsterbliche Julian Tifflor hat nicht nur mit seinem Freund Perry Rhodan gebrochen, sondern sich bedingungslos auf die Seite des Imperators geschlagen – weil nur das Kristallimperium in der Lage sei, etwaige Angriffe außergalaktischer Mächte mit der notwendigen militärischen Stärke zurückzuschlagen ...

Die Antwort der LFT folgt auf den Fuß: Ihre Botschaft in Mirkandol wird aufgelöst, die Mitgliedschaft im Galaktikum ruht – und das kommt de facto einem Austritt gleich. Unvoreingenommene Beobachter, die bislang noch nicht dem Einfluß SEELENQUELLS unterliegen, dürften spätestens jetzt ins Grübeln kommen, ob Rhodans Botschaft nicht doch der Wahrheit entsprochen hat. Dessen Versuch, sich über die Brücke in die Unendlichkeit der Hilfe der anderen Thoregon-Völker zu versichern, erwies sich allerdings als Sackgasse – die Brücke ist derzeit unpassierbar, die Terraner sind auf sich allein gestellt.

Um überhaupt eine Chance zu haben, ist also rasches Handeln angesagt. Denn sobald SEELENQUELL erstmals offen in Erscheinung tritt, sind die Aussichten auf ein erfolgreiches Vorgehen nicht mehr der Rede wert. Problematisch hierbei ist, daß sich die Superintelligenz selbst bis auf weiteres einem direkten Zugriff entzieht. Ganz zu schweigen von der Schwierigkeit, wie denn überhaupt gegen eine höhere Entität vorgegangen werden sollte.

Der Vorstoß nach Ertrus mag vor diesem Hintergrund auf den ersten Blick hektisch, wenn nicht gar aktionistisch erscheinen, doch ist er ein erster Ansatzpunkt ...

Rainer Castor