Allgemein gesagt ist ein Meister – ahd. meistar, von lat. magister – jemand, der eine herausragende Leistung, eine »Meisterschaft«, auf einem oder mehreren Gebieten aufweist. Diese kann sich auf Beruf, Kunst, Handwerk oder Sport ebenso beziehen wie auf Wissen und Befähigung in philosophischen und religiösen Fragen. br>
Fachliche Kompetenz, natürliche Autorität und Vorbild des Meisters, um nicht zu sagen sein Charisma, spielen hierbei eine entscheidende Rolle und wirken sich auf die Akzeptanz desjenigen aus, der als Lehrling dem Meister nachfolgt, dessen Fußstapfen auszufüllen versucht und selbst Richtung Meisterschaft strebt.
Dieser Lehrling ist in gewisser Weise häufig ein jüngeres Spiegelbild des Meisters – neugierig, wissensdurstig, aufnahmebereit und vertrauensvoll, zwar noch unwissend, unerfahren, gar naiv, aber talentiert und mit jenem Potential ausgestattet, das im Laufe der Zeit durch den Meister geweckt und mit Leben erfüllt werden muß.
Das Verhältnis zwischen einem »Lehrling« und (s)einem »(Lehr)Meister« ist stets ein besonderes und sehr enges, vor allem natürlich dann, wenn es sich um eines handelt, das in jeder Hinsicht für das Leben prägend ist.
Die beiden Begriffe sind deshalb in Anführungszeichen gesetzt, weil auch andere Synonyme möglich sind und die Spannweite ihres Verhältnisses von der kurzfristigen Wissensvermittlung bis hin zum lebenslangen, intensiven Kontakt reichen kann.
Die eher kurzfristigen Aspekte wollen wir hier einmal außen vor lassen. Gemeint ist auch weniger die recht enge Fassung im Sinne des in unserer Zeit gültigen Berufsausbildungsgesetzes oder der auf ein spezielles Fachgebiet beschränkte Kontakt.
Mehr noch als bei der an die Institution Schule geknüpfte und allgemeineren Form der Ausbildung wirkt sich die persönliche und direkte Schüler-Meister-Beziehung aus. Hier wie dort dreht es sich zwar auch um Einübung und Verinnerlichung geltender Werte, Normen und Rollenmuster, um die Vermittlung von Fähig- und Fertigkeiten und Kenntnissen und letztlich auch um eine »Auslese« durch Prüfungen und Zensuren. Aber das Verhältnis ist intensiver und »interaktiver«, da wahre Meisterschaft auch Aufgeschlossenheit für das Neue, Unverbrauchte, nicht in eingefahrenen Bahnen Fixierte einschließt – und deshalb der Meister häufig ebenso von seinem Lehrling lernt wie umgekehrt dieser vom Meister.
Besonders interessant und spannend in einer solchen Beziehung sind die in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen zwangsläufig in Erscheinung tretenden Spannungen und Krisen: Zu Beginn wird der Meister in seiner »Überlegenheit« voll und ganz akzeptiert, wenn nicht sogar überhöht und verehrt. Dieses ändert sich spätestens, wenn der Lehrling über das Basiswissen hinausgewachsen ist und eigene Fertigkeiten entwickelt.
Die »Überhöhung« des Meisters reduziert sich, und mit wachsendem Selbstbewußtsein gewinnt der Lehrling den Eindruck, seinerseits schon der Meisterschaft nahe zu sein oder sie gar erreicht zu haben. Was dann passiert, hat Johann Wolfgang von Goethe überaus treffend in Der Zauberlehrling festgehalten: Hat der alte Hexenmeister
Sich doch einmal wegbegeben!
Und nun sollen seine Geister
Auch nach meinem Willen leben.
Seine Wort und Werke
Merkt ich und den Brauch,
Und mit Geistesstärke
Tu ich Wunder auch.
Das Ergebnis ist bekannt, der überhebliche Lehrling bekommt einen deutlichen Dämpfer versetzt, und sein Versuch mündet in den vielzitierten Hilferuf: Die ich rief, die Geister, werd ich nun nicht los. Zu hoffen ist in einer solchen Situation, daß der Meister früh genug wieder auf der Bühne erscheint und die vom Lehrling nicht beherrschten »Geister« bändigt.
Hat der Lehrling seine Lektion verstanden, kehren Respekt und Demut zurück – und diese bleiben auch erhalten, wenn der Meister die »Lehrzeit« für beendet erklärt und dem Lehrling dessen nun erreichte Meisterschaft bescheinigt. Das bis dahin bestehende eher hierarchische Verhältnis wird nun zur Partnerschaft in gegenseitiger Anerkennung, bei der allerdings wahre Meisterschaft stets weiterhin die Lehrlingszeit vor Augen haben wird und den allein schon durch den Altersunterschied gegebenen Vorsprung an Lebenserfahrung beachtet, so daß der Meister zeitlebens der Meister bleibt – was nicht ausschließt, daß der neue Meister durchaus den alten überflügeln kann, ja daß sogar dieser nun seinerseits zum »Lehrling« wird.
Anders als in dieser optimalen Entwicklung ist jedoch die Situation, wenn die Lektion nicht gelernt wird, der Dämpfer nicht oder nicht rechtzeitig kommt oder der Lehrling den Bruch mit seinem Meister herbeiführt, ohne wirklich die Meisterschaft erreicht zu haben. Hierbei wird dann eine Entwicklung eingeleitet, deren Ende ziemlich vorhersehbar und schon in den Sprüchen Salomons nachzulesen ist: Hochmut kommt vor dem Fall.
Wie im Roman nachzulesen und schon aus anderer Perspektive bekannt ist, muß das Verhältnis zwischen dem Lehrer Wrehemo und dem Lehrling Morkhero zweifellos in ebendieser Kategorie eingeordnet werden: Hier hat der Schüler eindeutig seine Kräfte, Kenntnisse und Möglichkeiten überschätzt und muß dafür den Preis zahlen.
Andererseits ist aber auch Wrehemo Seelenquell keineswegs als der »optimale« Meister einzuschätzen, sondern als jemand, der seinerseits auf abschüssige Bahn gerät und von den heraufbeschworenen »Geistern« überfordert wird. Fragt sich, wie das alles ausgeht, sollten sie wieder aufeinander treffen. Es steht zu befürchten, daß letztlich beide zu den Verlierern gehören werden – und sich die losgelassenen »Geister« als die eigentlich triumphierenden herausstellen könnten ...
Rainer Castor