PERRY-RHODAN-Kommentar 2048
DER GESCHLOSSENE KREIS (II)


»Wissen ist Macht« – dieser Ausspruch gewinnt mit Blick auf die Superintelligenz ES und ihre in die Zeitschleife eingebundene Existenz völlig neues Gewicht. Vor dem Hintergrund der über den Chronisten und sein Wissen einfließenden Kenntnis der Entwicklungen wird vieles im Verhalten von ES nachträglich verständlicher. Mehr noch als die Höheren Entitäten ab dem Status einer Superintelligenz war ES zumindest im Bereich des in sich geschlossenen Kreises der Zeitschleife tatsächlich zeitlos.

Superintelligenzen wird angesichts ihrer Bewußtseinsstruktur und der mehr oder weniger intensiven Einbindung in den Hyperraum zwar insgesamt ein gewisser »zeitloser« Status zugesprochen, doch hierbei handelt es sich um eine Sicht auf die Wahrscheinlichkeitsstrukturen, die sich aus der Vielzahl der Universen des Multiversums ergeben. Einflußnahme ist hierbei durchaus möglich, doch es gibt keine Sicherheit, keine Determination (denn die bezieht sich letztlich nur auf die Gesamtheit aller Universen in ihrer parachron-omnipräsenten Existenz an sich).

Im Gegensatz dazu war der Weg und die Entwicklung für ES vorgeschrieben, zu jener Existenz erstarrt, die sich im Wissen des Chronisten manifestiert. Für uns ist es schwer möglich, sich in ein Geschöpf wie ES hineinzuversetzen, aber dennoch wird hier von Tragik ebenso wie von Ohnmacht gesprochen werden dürfen. Selbst wenn das Wissen des Chronisten im Verlauf der Zeitschleife nur in »Schüben« erfaßt wurde und sonst eher im »Unterbewußtsein« des Fiktivwesens schlummerte, muß es eher als Fluch denn als Segen erscheinen. Zudem wurde es von ihm zeitweise nach eigener Aussage angeblich in den »Zeittafeln von Amringhar« zusammengefaßt oder »ausgelagert«, jenen Kristallsäulen, die die Geschichte der Superintelligenz und ihrer Mächtigkeitsballung enthielten ...

Bei völliger Kenntnis der Entwicklung weiß ES, wann die »Zeitlosigkeit« endet und daß seine Existenz danach nicht beendet ist, sondern ohne die weitere genaue Kenntnis der Zukunft fortgesetzt wird. Das mag Trost sein, ein mit aller Kraft anzustrebendes Ziel – und wohl mit ein Hauptgrund (neben der Einbindung in die festgefügte Zeitschleife!), weshalb es trotz der Warnungen ESTARTUS zu einer Beteiligung an Thoregon kam. Andererseits gab und gibt es keinen Spielraum; ES hat so gehandelt und wird so handeln müssen, solange der Kreis stets aufs Neue durchlaufen wird.

Hierbei stellt sich natürlich die Frage, warum ES, da der vorgeschriebene Weg bekannt ist, nicht von diesem abgewichen ist. Denn daß dies einer Superintelligenz möglich ist, dürfte kaum zu bestreiten sein – nicht umsonst wurde im Zusammenhang mit dem Auftrag der SOL-Besatzung ja die besondere Situation der Zeitscheide betont.

Genau hier hätte es zu einem Bruch kommen können oder – aufs Ganze bezogen – irgendwo im Geflecht der potentiellen und wahrscheinlichen Universalstrukturen muß es diese Umsetzung sogar geben! Es steht zu vermuten, daß diese Alternative wohl noch schlimmere Entwicklungen und Dinge mit sich bringt als das, was ES herbeigeführt hat und wieder herbeiführen wird.

Zu berücksichtigen ist schließlich auch, daß innerhalb der 18-Millionen-Jahre-Zeitschleife eine ganze Reihe weiterer kleinerer eingebunden sind: Sie reichen von der Begegnung mit Ovaron über die Versetzung der CREST III, die mit der Zerstörung des arkonidischen Robotregenten verbundenen Dinge, Atlans Traversan-Abenteuer bis hin zu jenem Kreis, der mit der ES-Verwirrung und der Hilfe durch ESTARTU über die Nakken geschlossen wurde.

Rückwirkend betrachtet stellt sich sogar die Frage, inwieweit die von ES wiederholt genannte »20.000-Jahres-Chance« vielleicht nicht sogar ein verklausulierter »Vorgriff« auf eben jene durch Taurecs Manipulationen erzeugte Verwirrung war – also ein zusätzlicher Kreis im Kreis und in gleicher Weise festgeschrieben wie alles andere auch.

Vor diesem Hintergrund ergeben sich für die zeitweise ebenfalls zu ES gehörenden »Bestandteile« – die »Schwester« ESTARTU und das negative Konglomerat Anti-ES – die Konsequenz, daß sie in gleicher Weise wie ES selbst in Kenntnis der Entwicklung handelten, wie sie handelten, oder aber nicht informierte Beteiligte waren, die dann trotzdem in die festgefügte Schiene eingebunden blieben. Wir wissen es nicht, genausowenig wie wir wissen, wie und wann genau ES über all diese Dinge und Zusammenhänge Kenntnis erhielt.

Wer also gemeint hat, die Geheimnisse und Rätsel rings um diese Superintelligenz seien gelöst, sieht sich enttäuscht (oder erleichtert, je nachdem). Wer oder was war zum Beispiel jener ins Riesenhafte wachsende Schmetterling, der aus dem letzten von Rezzaga getöteten Blauen Blond hervorwuchs? Nimmt man eine analoge Erscheinung als Vergleich, die beim Tod eines Zellaktivator-Chip-Trägers in Gestalt einer Spiralgalaxis erkannt wird, könnte vermutet werden, daß es sich bei dem letzten Tharoidoner um einen Unsterblichen handelte – ob es jedoch so war, bleibt eine der unbeantworteten Fragen.

In Segafrendo hat jedenfalls die Superintelligenz K’UHGAR die Macht übernommen, und wenn wir deren Handlungsweisen berücksichtigen, die schon bei ihrer Entstehung im INSHARAM von beachtlicher Rücksichtlosigkeit und Gewalt geprägt waren, können wir nur hoffen, daß es in der »Realgegenwart« niemals zu einer direkten Konfrontation kommt.

Aber alles ist nun im Fluß!

Fest steht nur, daß ESTARTU vor einer Beteiligung an Thoregon gewarnt hat, daß Anti-ES handelte wie es handelte, und daß ES schließlich in den PULS vordrang, um diesen mit fünf anderen Superintelligenzen zu stabilisieren. Was nun geschieht, ist offen – nichts ist mehr festgeschrieben, die Zukunft unbestimmter denn je.

Um so bedrückender deshalb die Nachricht, daß die SOL nicht aus dem Mega-Dom hervorkommt, als sie es eigentlich sollte und wie es zweifellos von ES erwartet, jedoch nicht gewußt wurde ...

Rainer Castor