PERRY-RHODAN-Kommentar 2046


MULTIVERSUM UND ZEITREISEN (II)


Universen, die einander sehr ähnlich sind, wurden vom Pararealisten Sato Ambush als »parallele Wirklichkeiten« definiert, wobei die Neigung dieser Wirklichkeiten, sich unter gewissen Umständen sprunghaft zu verändern, ihr Realitätsgradient, den Übergang zu Kalups Paralleluniversen ebenso beinhaltete wie der Übergang zur höheren Mächtigkeit aller möglichen Universen.

Als Minimalunterschied zwischen zwei benachbarten Universen nannte Ambush eine einzige Charakteristik eines einzigen Quants. Aus dieser »Quantelung« ergibt sich einerseits zwar eine sehr große, aber doch endliche Zahl von Universen, andererseits gilt infolge der damit verbundenen Quanteneffekte auch eine Unschärfebeziehung. Deshalb kann nicht mit Bestimmtheit ausgesagt werden, zu welchem Universum genau ein Teil davon innerhalb einer Gruppe »direkt benachbarter« und somit einander extrem ähnlicher Universen gehört – sei dieses »Teil« nun unbelebtes Objekt oder eine bestimmte Person. In den Grenzen der »Beobachtungsungenauigkeit« sind sie als gleichwertig anzusehen!

Verbunden hiermit ist allerdings die vielleicht schwer zu akzeptierende Erkenntnis, daß in all diesen Universen »Doubles« unserer selbst existieren, zwar letztlich getrennt, aber auf höhergeordneter Ebene doch miteinander verknüpft. Damit stellt sich nun die Frage, ob bei »interuniversellen Bewegungen« – und das sind Zeitreisen vor dem Hintergrund des Multiversums! – wirklich eine »Versetzung« von Materie gemeint ist, in Analogie zur räumlichen Bewegung.

Muß nicht vielmehr der Beobachter an sich als maßgebliche Instanz einbezogen werden? Was aber kennzeichnet diesen ominösen Beobachter wirklich? Sein materieller Körper? Wohl nicht, denn ein ausschließlich materialistischer Ansatz im Sinne linearer Logik ist zum Scheitern verurteilt und führt zu den bekannte^n »Paradoxien«. Andererseits war schon mit der Einführung des Beobachters in der Quantenmechanik wie auch in der Relativitätstheorie eine Aufweichung der Subjekt-Objekt-Trennung verbunden.

Vernetzung, Wechselwirkung, Interaktion und gegenseitige Durchdringung lösten klassische Begriffe ab. Komplexität zog als neues Kennzeichen in die Weltbildkonzepte ein, eine Komplexität, deren Verständnis nicht durch Spaltung in Einzelteile und deren separate Analyse zu erzielen ist, sondern das Ganze in seiner Struktur wie in seinen inneren Zusammenhängen zu erfassen hat: die alte Erkenntnis, daß das Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile.

Werden der Beobachter und sein individueller Blickwinkel im Multiversum zur entscheidenden Instanz, erlangt ein weiterer Begriff fundamentales Gewicht: die Information oder allgemeiner das Wissen. Was unterscheidet zum Beispiel ein »ruhendes Objekt« von einem »bewegten«? Letztlich die Information, die als »Bewegung« interpretiert wird. Es kann also statt Bewegung in gleicher Berechtigung Wissen heißen, genau wie in der Physik von der Äquivalenz der »trägen« und der »schweren« Masse gesprochen wird.

Für den Beobachter als Teil im Ganzen gibt es als letzte Grenze hinzuerwerbbaren Wissens nur das Ganze – die Grenzbedingung bei der Vermehrung von Wissen aber ist, daß er sich aufgrund seiner Einschränkung nur eine endliche Menge Wissen in einander »folgenden« Abschnitten bewußt machen kann. Diese zwangsläufige Begrenzung ist Kennzeichen des Teils, dessen Sein deshalb als »zeitlich« erscheint und Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft fixiert.

Wird als Gesamtmenge aller Universen eine ausreichend große Auswahlmöglichkeit vorausgesetzt – im extrem Aleph 0 oder gar Aleph 1 –, »transzendiert« Zeit im konventionellen Sinne und macht sie bedeutungslos: Eine so erweiterte Betrachtungsweise zeigt, daß es in der Tat wenig Sinn hat, von Prozessen, Bewegung und Zeitablauf zu sprechen. Zeitliches Nacheinander wird auf dieser Ebene ersetzt durch das »parallele«, parachrone Nebeneinander der vorhandenen universellen und pararealen Zustände des insgesamt höhergeordneten Multiversums.

Das Ganze erzwingt eine Offenheit der Zukunft ebenso wie eine Offenheit der Vergangenheit, weil aus dieser Sicht alles Wahrscheinlichkeit, ein Potential der Unsicherheit, Möglichkeit ist – und dennoch entspricht die transfinite Mächtigkeit der Gesamtmenge aller Universen dem grundlegenden statischen Zustand des Ganzen. In seiner Gesamtheit determiniert, für das einzelne Teil in jeder Hinsicht offen und von Wahrscheinlichkeiten geprägt, wird »Zeit« zu einer permanent existenten Gegenwart, eine Omnipräsenz des Seins im Gegensatz zum konventionellen Werden und Vergehen. Fritjof Capra umschrieb diesen Zustand in Wendezeit mit einem sehr anschaulichen Bild: Es herrscht Bewegung, doch es gibt letzten Endes keine sich bewegenden Objekte; es gibt Aktivität, jedoch keine Handelnden; es gibt keine Tänzer, sondern nur den Tanz.

Auf das Ganze bezogen ist das Multiversum ein dimensional nicht eingeschränktes Alles-Jetzt – und die höhergeordnete, umfassende Struktur letztlich »pures Wissen« oder wissendes Sein. Inbegriffen ist hierbei aufgrund des Ganzheitsbegriffes das über das bloße Dasein hinausgehende Sosein, was dann zum sich selbst wissenden Sein führt, dem bewußten Sein – sprich dem »Bewußtsein«! Werden herkömmliche Betrachtungsweisen dergestalt »transzendiert«, heißt die Konsequenz: Kein Innen und Außen, kein Subjekt und Objekt, sondern die Ganzheit – der Tanz an sich – ist das Grundlegende.

Hierbei ist Bewußtsein Bindeglied und maßgeblicher Faktor, Ausdruck des dahinterstehenden Wissens, und Zeitreise keine »Umkehr« der Orientierungsrichtung, sondern stets Wissenszugewinn, schöpfend aus dem Potential des ohnehin Vorhandenen. Vor diesem Hintergrund gewinnt der Ausspruch, daß Wissen Macht sei, allerdings einen ganz neuen Sinn ...

Rainer Castor