PERRY-RHODAN-Kommentar 2045


MULTIVERSUM UND ZEITREISEN (I)


Sollte die SOL versagen, so wird dies gleichbedeutend mit der Vernichtung der Menschheit sein. Noch wissen wir nicht, ob und wie die gestellte Aufgabe gelöst wird, noch ist die als Zeitscheide umschriebene Grenze nicht überschritten. Zwar wurde in den PR-Kommentaren 2019 und 2035 bereits auf Zeitreisen im allgemeinen und die der SOL im speziellen eingegangen, dennoch werden die damit verbundenen Aspekte nochmals aufgegriffen, da es bei dieser Betrachtung sehr darauf ankommt, welches Weltbildmodell die Basis ist – und das des PERRY RHODAN-Kosmos ist das eines Multiversums!

In unserer Realwelt gibt es zwar durchaus Erörterungen – von Stephen Hawking und anderen –, ob vielleicht Zeitreisen theoretisch möglich sein könnten. Problematisch ist aber in den grundsätzlichen Überlegungen zu dieser Thematik, daß schon bei der theoretischen Möglichkeit einer Zeitreise unsere Vorstellung von einem linearen Fortschreiten der Zeit über den Haufen geworfen wird.

Für uns erscheinen die Zeitmodi von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft festlegt. Der Zweite Hauptsatz der Thermodynamik führt in der Physik zur Irreversibilität der Vorgänge und der Ausrichtung des »Zeitpfeils«, bei dem die Faktizität des Vergangenen der grundsätzlichen Offenheit der Zukunft gegenübersteht. Vergangenes ist vergangen und kann gewußt werden, die Gegenwart befindet sich im permanenten Fluß, und was die Zukunft bringt, ist nicht festgelegt.

Wer sich auf diese Sichtweise beschränkt, wird sich zwangsläufig in den mit Zeitreisen verbundenen Paradoxien, Widersprüchen und Logikfallen verlieren. Dinge wie der gern zitierte Versuch, den eigenen Opa per Zeitreise zu meucheln, oder solche von Begegnungen mit sich selbst erscheinen auf den ersten Blick nicht lösbar unter der Verwendung der gängigen Zeitmodi und Logik. Logik kann auf sehr elegante Weise genutzt werden, um lineare Systeme von Ursache und Wirkung zu beschreiben. Wenn kausale Abläufe jedoch zirkulär werden, erzeugt ihre Beschreibung mit den Mitteln der Logik die bekannten paradoxen Situationen.

Das gilt allerdings auch schon für einfache Systeme, die Rückkopplungs-Mechanismen enthalten. Um das zu verdeutlichen, kann das Beispiel eines »primitiven« Thermostats herangezogen werden: Sinkt die Temperatur, schaltet der Thermostat die Heizung ein. Dadurch steigt die Temperatur, was den Thermostaten veranlaßt, die Heizung abzuschalten, wodurch die Temperatur wieder sinkt, und so weiter und so fort – ein stetes Hin und Her.

Die Anwendung der Logik würde die Beschreibung dieses Mechanismus zu einem Paradoxon machen. Denn Logik ist zeitlos, während bei Kausalität Zeit im Spiel ist – die Einführung von Zeit verwandelt also das Paradoxon in ein Hin und Her. Genau wie beim permanenten Einpendeln der Heizung durch den Thermostaten ist demnach oben erwähnter Meuchelversuch zu sehen: Wenn Opa tot ist, entfällt der Grund für die Zeitreise, weshalb die eigene Existenz nicht ausgelöscht sein kann, folglich also eigentlich Opa weiter leben müßte, dem man wiederum durch eine Zeitreise an die Gurgel will – und so fort.

Was jedoch beim Thermostat problemlos akzeptiert wird, stößt mit Blick auf die Zeitreise und ihrem in diesem Beispiel »unbefriedigenden« Pendeln zwischen den Zuständen eher auf Ablehnung – weil es unserer vertrauten Sicht nicht entspricht. Schon die konventionelle Physik lehrt allerdings, daß jedes physikalische System sich in mehreren, oft sehr vielen oder gar unendlich vielen Zuständen befinden kann, und zwar unabhängig davon, ob das jeweilige System klassisch oder quantenmechanisch beschrieben wird.

Hierbei ist es ebenso möglich wie legitim, bei makroskopischen Systemen von Universen zu sprechen oder vom Multiversum als ihre Gesamtmenge. Vor dem Hintergrund der Eigenschaften des Howalgoniums entwickelte Professor Arno Kalup schon im Jahr 2090 seine Hypothese einander paralleler Universen; später wurde bei ihrer Darstellung von Parachron-Physik gesprochen (parachron bedeutet »neben der Zeit her«) und postuliert: Die Natur kennt die Zeit nicht, sondern nur das Nebeneinander der ungeheuren, aber endlichen Zahl von Universen, so daß das Zeitempfinden demzufolge eine subjektive Reaktion auf das Erkennen der jeweils unmittelbar benachbarten Bezugsebene ist.

Aufgrund seiner Kenntnis von der Ausdehnung und Massenenergie des Standarduniversums gelangte der Hyperphysiker zu dem Schluß, daß es für dieses alleine schon so viele Paralleluniversen geben müsse wie Möglichkeiten, die riesige, jedoch begrenzte Anzahl von Quanten, die das Standarduniversum ausmachen, miteinander zu kombinieren – etwa 1080-Fakultät (= Produkt aller Zahlen von 1 bis 1080). Auf dem Niveau der kleinsten Unterschiede gibt es hierbei statt Gewißheit nur Wahrscheinlichkeiten, und per »hyperphysikalischem Tunneleffekt« ist der Übergang von einem Universum zu einem anderen möglich. Sofern es sich herbei um eng »begrenzte Ausschnitte« und nicht um ganze Paralleluniversen handelt, wurde später gemäß Sato Ambushs Pararealistik von parallelen Wirklichkeiten gesprochen.

Über die Mächtigkeit der Gesamtmenge aller Universen, die sämtliche weiteren Kombinationsmöglichkeiten »zeitlicher« wie auch exotischer Natur beinhaltet, machte Kalup keine Aussage. Vermutlich, um keine Entscheidung darüber treffen zu müssen, ob von einer endlichen oder unendlichen Mächtigkeit auszugehen sei. So ist zum Beispiel die Menge der natürlichen Zahlen, die der ganzen Zahlen und jene der rationalen Zahlen gleichmächtig (äquivalent) und wird der kleinsten »transfiniten Kardinalzahl« Aleph 0 zugeordnet, während die Menge der reellen und komplexen Zahlen zwar ebenfalls gleichmächtig ist, jedoch von höherer Mächtigkeit als die erstgenannten – ausgedrückt als Aleph 1. Fortsetzung im nächsten PRK.

Rainer Castor