PERRY-RHODAN-Kommentar 2034


ORDNUNG UND CHAOS


Dringende Warnung: Zuerst Roman lesen!

Im Zusammenhang mit der Superintelligenz K’UHGAR liefert Rezzaga einige Informationen, die Anlaß geben, unsere bisherigen Vorstellungen zur Thematik Ordnung und Chaos neu zu überdecken, weil er sagt: »K’UHGAR zieht gegen das kosmische Chaos zu Felde, das im Vielvölkerchaos der meisten Galaxien begründet ist. K’UHGAR kämpft, um einen stabilen Zustand zu schaffen, der dem Prinzip der Ordnung im Universum dient. Denn eine stabile Ordnung vermag weitaus mehr Leben einvernehmlich zu verwalten, als es die vermeintliche Freiheit des Individuums vermag.«

Diese Einschätzung entbehrt zwar keineswegs einer inneren Logik, führt in ihrer konsequenten Umsetzung jedoch zum mörderischen Vorgehen der Mundänen und stößt deshalb auf unsere Ablehnung. Trotzdem scheint die Superintelligenz K’UHGAR eine zu sein, die nach den Kriterien des Zwiebelschalenmodells auf seiten der Ordnungsmächte agiert. Vielleicht »extremer« als andere Superintelligenzen, aber immerhin ...

Das gibt zu denken! Kann es sein, daß wir die bisherige Polarisierung in Ordnung und Chaos unter falschen Gesichtspunkten gesehen haben? Daß zuviel »hineingemenschelt« wurde? Daß wir mit unseren Wertevorstellungen, gar moralischen Kategorien zwangsläufig auf ein völlig falsches Gleis geraten?

Zwar kam es beim Vorstoß der Terraner ins All gleich zu Beginn mit der Lösung des Galaktischen Rätsels zum denkwürdigen Kontakt mit ES. Aber erst mit der Zeit wurde klar, daß ES als »Höhere Entität« im Sinne einer Superintelligenz nur eine von vielen ist, daß es »positive wie negative« gibt, daß mit Materiequellen und Materiesenken höhere Stufen erreicht werden können, ja daß diese sogar noch von den als »Hohe Mächte des Kosmos« umschriebenen Wesenheiten im Bereich »jenseits der Materiequellen« übertroffen werden, den Kosmokraten und Chaotarchen.

So bemerkenswert die mit der Zeit gewonnenen Informationen sein mögen, die Kenntnis vom Zwiebelschalenmodell, vom Moralischen Kode und den Kosmonukleotiden, vom Ultimaten Stoff und seiner Wichtigkeit für die Hohen Mächte – all das kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß das eigentliche Verständnis doch eher ein scheinbares, um nicht zu sagen aufgesetztes ist, nur Modell eben.

»Es ist zwar eine grundlegende Eigenschaft von Modellbildern, daß sie hinken, doch kann durch richtige Auswahl immerhin zwischen starkem Humpeln und leichtem Beinnachziehen gewählt werden.« Dieser von Professor Doktor Arno Kalup stammende Ausspruch gilt nicht nur für die Wissenschaft, sondern auch, wenn wir uns mit Höheren Entitäten, ihren Möglichkeiten, ihren Motiven und ihrer grundsätzlichen Mentalität beschäftigen.

Schlagworthaft wird nämlich hierbei gerne und leichtfertig vom »Kampf zwischen Ordnung und Chaos« gesprochen oder Bewertungskriterien wie »gut und böse« eingebracht; menschliche Denkmuster und moralische Maßstäbe also, die schon bei einer 1:1-Übertragung auf andere galaktische Völker versagen. Vorsicht ist also angebracht, insbesondere wenn es um Zustimmung oder Ablehnung, einer Be- oder Verurteilung der »Ordnungs- und Chaosmächte« geht.

Allgemein umschreibt Chaos eine Auflösung aller Ordnung, das völlige Durcheinander oder gar Anarchie. Vom Ursprung her kommt der Begriff vom griechischen chainein, »gähnen«. Er umschrieb nach Hesiod den klaffenden, gähnenden Abgrund, dann einen ungeordneten, formlosen und ungestalteten Zustand der Dinge. Für Aristoteles war es der Inbegriff des »leeren Raums«, während in den altgriechischen Kosmogonien darin ein mythischer Urzustand oder Urstoff gesehen wurde, aus dem sich die Welt von selbst oder durch eine schöpferische Tätigkeit zum »geordneten Kosmos« ausbildete.

Letzteres ist eine Tautologie, denn das griechische kosmos bedeutet Ordnung, die erst über die Erweiterung zur Weltordnung und das »wohlgeordnete Weltall« auf das Ganze bezogen wurde – die als geordnete Einheit gedachte Welt im Gegensatz zum Chaos. Chaos kann aber auch für Vielfalt und Pluralität stehen.

Im Extrem bedeutet Ordnung Starrheit, Einheitlichkeit, Stabilität und das Ende von Veränderung, während Chaos von Ungebundenheit über Instabilität und Zügellosigkeit bis hin zur totalen Anarchie reicht. Ordnung führte in der wissenschaftlichen Begriffsbildung zur Systematik, Rangordnung und Hierarchie. Die Chaostheorie wurde aus der Theorie dynamischer Systeme und ihrer zufallsbedingten, zu chaotischen Strukturen tendierenden Entwicklung herausgebildet.

Unter thermodynamischem Gesichtspunkten wird die Entropie als Maß für die Un-/Ordnung eines abgeschlossenen Systems herangezogen. Vorgänge, bei denen die Entropie zunimmt, verlaufen zwar von selbst, können jedoch nicht ohne Aufwand von Energie rückgängig gemacht werden. Anders ausgedrückt: Das natürliche Bestreben, einen Zustand größter Unordnung zu erreichen, ist gleichzeitig der wahrscheinlichste, ein Zustand hoher Ordnung und Komplexität dagegen eher unwahrscheinlich.

Für lebende Organismen gilt nun, daß sie sich als offene Systeme trotz irreversibler Prozesse in einem Fließgleichgewicht befinden, das einen Zustand unwahrscheinlicher, hoher Ordnung erhält oder gar zu Zuständen höherer Ordnung übergeht. Diese bei einer Abnahme der Entropie mögliche Zunahme der Komplexität wird als Basis für die Entstehung und Evolution von Lebewesen angesehen.

Gerade die Chaostheorie zeigt, daß sogar chaotische Strukturen von gewissen Ordnungsprinzipien geprägt sind, und die Ordnung eines lebenden Organismus beinhaltet dynamisch-chaotische Elemente, sofern das nicht das entscheidende Kriterium ist. Beides müßte demnach für die Ordnungs- und Chaosmächte und ihre Vertreter im gleichen Maß gelten, so daß sich unter Umständen die (scheinbaren?) Unterschiede und Gegensätze viel mehr verwischen als bislang gedacht ...

Rainer Castor