Unter dem Stichwort Diplomatie ist in der Brockhaus-Enzyklopädie zu lesen, daß es sich um »die Pflege der Beziehungen zwischen den Staaten« handelt »und die dabei angewandten Methoden ...« Des weiteren wird ausgeführt, daß sich die Staaten »zur Vertretung, Interessenwahrung, Verhandlung, Unterrichtung, Förderung der Beziehungen hauptsächlich der im gegenseitigen Einvernehmen des Entsendestaates und des Empfangsstaates errichteten ständigen Vertretungen (Missionen, Botschaften, Gesandtschaften), außerdem auch der Vertretungen von Fall zu Fall« bedienen.
Hierbei sind die Räumlichkeiten der Mission, ihre Archive und Schriftstücke sowie die amtliche Korrespondenz genau wie der oder die Diplomaten selbst unverletzlich; sie genießen Exterritorialität. Diplomaten unterliegen deshalb keiner Festnahme oder Haft irgendwelcher Art, sie sind mit gebührender Achtung zu behandeln und dürfen darauf setzen, daß der Empfangsstaat alle geeigneten Maßnahmen trifft, um jeden Angriff auf die Personen, ihre Freiheit oder ihre Würde zu verhindern. Neben der diplomatischen Immunität des Missionschefs und seines Personals gilt im allgemeinen auch die Befreiung von Zöllen und Steuern des jeweiligen Empfangsstaates.
Geschichtlich betrachtet reichen die Anfänge einer unter dem Begriff Diplomatie zu fassenden Tätigkeit mindestens bis in den Alten Orient zur Mitte des zweiten vorchristlichen Jahrtausends zurück, auch wenn sich erst etwa zur Zeit des byzantinischen Reiches ein diplomatischer Dienst mit eigenen Gepflogenheiten und Zeremoniell etablierte. Sonderrechte der Diplomaten, Immunitäten und besondere Korrespondenzformen einschließlich der damit einhergehenden Bürokratisierung samt den Berufsdiplomaten entstanden im 15. und 16. Jahrhundert. Zunächst noch rein auf die zwischenstaatlichen Beziehungen beschränkt, kam mit den internationalen Organisationen wie den Vereinten Nationen auch die dortige diplomatische Vertretung hinzu.
Als diplomatische Beziehungen definiert die Brockhaus-Enzyklopädie den im Völkerrecht »im gegenseitigen Einvernehmen aufgenommenen, durch diplomatische Vertretungen unterhaltenen, förmliche ständigen Kontakt zwischen Völkerrechtssubjekten (insbesondere Staaten).«
Übertragen auf die Milchstraße des beginnenden 14. Jahrhunderts NGZ muß als weiterer Aspekt natürlich die Tatsache Berücksichtigung finden, wie groß im Grunde die Unterschiede zwischen den »Galaktikern« sind, im Denken, Empfinden, in der Mentalität. Im Laufe der Zeit – besonders in den Jahrhunderten von Galaktischer Allianz, Vereintem Imperium und später von GAVÖK, Kosmischer Hanse und Galaktikum – hat sich zwar eine allgemeine Konvention herausgebildet, die für die Begegnung zwischen Angehörigen verschiedener Völker steht, aber das ist nur eine winzige Schnittmenge, die Spitze des Eisberges. Die Tünche bleibt dünn, und sobald der enge Rahmen der Konvention verlassen wird, zeigt sich, wie fremd und verschieden die Völker wirklich sind.
Nicht umsonst verweist die Kosmopsychologie schon seit der Zeit des Großen Imperiums darauf, daß beim Versuch einer Einschätzung und Beurteilung von Fremdvölkern als Grunddevise gilt, niemals die eigene Identität aufzugeben. Der den Arkoniden oft vorgeworfene Rassendünkel, ihre Arroganz und Überheblichkeit sind vor diesem Hintergrund stets ein Gutteil Selbstschutz gewesen, auch und gerade, um einen Wall gegenüber »dem Fremden« zu errichten.
Genetische Disposition, Umwelt und Erziehung prägen und bestimmen das Selbstbild – es droht unter Umständen zu wanken oder geht gar verloren, wenn die Einstimmung in eine fremde Mentalität zu intensiv ausfällt. Es gab im Verlauf der galaktischen Geschichte ausreichend Fallbeispiele, die in Wahnsinn und Tod endeten. Einfühlungsvermögen in allen Ehren, aber es endet – wie die Toleranz – dort, wo es an die eigene Substanz geht ...
Vor diesem Hintergrund sind Julian Tifflors Bemühungen als Residenz-Minister für Liga-Außenpolitik, zugleich LFT-Sprecher im Galaktikum von Mirkandol auf Arkon I, zu sehen – alles andere als eine leichte Aufgabe, die vor allem eines erforderlich macht: Zeit! Wer sich die Dauer von Verhandlungen auf der Erde im 20. Jahrhundert vor Augen führt, erhält einen ersten Eindruck davon, wie es sein muß, wenn einander eigentlich völlig fremde Geschöpfe wie Terraner und Blues (oder wen immer man als Beispiel wählt) begegnen und auf einen Nenner zu kommen versuchen. Galaktische Diplomatie erfordert also vordringlich Geduld – und starke Nerven.
Man könnte nun einwenden, daß von Lemurer abstammende hominide Völker wie Akonen, Arkoniden, Tefroder und Terraner und ihre Abkömmlinge eigentlich leichter miteinander auskommen müßten als mit völlig fremden Spezies. Dem entgegen steht jedoch die im allgemeinen schon seit sehr vielen Jahrtausenden auseinander laufende, eigenständige Entwicklung.
Wer sich vor Augen führt, wie schwer es uns heute Lebenden fällt, andere Mentalitäten, Kulturen und Lebensgewohnheiten bis hin zur unterschiedlichen Art zu essen von Menschen zu akzeptieren, die beim Kontakt europäisch geprägter mit afrikanischen, südamerikanischen oder asiatischen Vertretern in Erscheinung treten, bekommt einen vagen Eindruck dessen, was an Schwierigkeiten im Kontakt zwischen galaktischen Völkern tatsächlich zu überwinden ist.
Ein einfacher Job ist es ganz bestimmt nicht, was Julian Tifflor zu leisten hat. Daß neben den grundsätzlichen Problemen die mit den jeweiligen galakto- und machtpolitischen und lokalen Interessen verbundenen Hürden überbrückt werden wollen, erleichtert seine Aufgabe keineswegs. Niemand will sich vom anderen »unterbuttern« lassen, Hunderte verschiedener Sichtweisen müssen unter einen Hut gebracht werden – und das, obwohl die Zeit angesichts der Gesamtentwicklung hin zu einem Krieg mehr als drängt ...
Rainer Castor