Es ist schon ein sonderbares Team, das sich da im Vorfeld des Kommandounternehmens »Eindringen in MATERIA « zusammengefunden hat: einerseits Blo Rakane, der weiße Haluter, der sich zunehmend als der wichtigste Wissenschaftler seines Volkes erweist - andererseits Tautmo Aagenfelt, dessen hyperphysikalische Reputation angesichts seiner offensichtlichen Schwächen (insbesondere der »Feigheit« im Rahmen von Risikoeinsätzen) viel zu häufig keine Beachtung fand.
Sich gegenseitig befruchtend, kann vor allem Tautmo zur Hochform auflaufen, denn hier bewegt er sich auf »vertrautem«, seiner Ausbildung und seinen geistigen Fähigkeiten entsprechendem Terrain. An Bord eines Raumschiffes wie der SOL, scheinbar ohne direkte Bedrohung für Leib und Leben, geht der Hyperphysiker ganz in seiner Aufgabe auf; nicht zuletzt wohl auch deshalb, um allen zu beweisen, daß er nicht nur der angstbibbernde Schwächling ist, sondern »was auf dem Kasten hat«.
Schon die ersten Messungen, die die beiden Wissenschaftler vornehmen, bringen erstaunliche Ergebnisse. Sie belegen schwarz auf weiß, was zwar qualitativ bekannt, nicht jedoch in dieser Form quantitativ erfaßt war: Die bei der Kosmischen Fabrik zur Anwendung kommende Technologie ist die der Milchstraßenvölker um etliche Stufen überlegen!
Da die SOL in MATERIA ihre neue Form erhielt, ist es nicht weit hergeholt anzunehmen, daß Dinge wie Hypertakt-Triebwerk, leistungsunabhängig-kontinuierliche Hyperzapfung und verschiedenste Anwendungsformen des Carits Mindeststandard sein müssen, sofern nicht sogar deutlich bessere Umsetzungen vorhanden sind. Es handelt sich hier auch und nicht zuletzt um eine Frage des Vertrauens und von Sicherheitsaspekten: Cairol der Zweite und der MATERIA-Befehlshaber Torr Samaho werden schwerlich den Fehler machen, ihren »Dienern« wie Shabazza das Nonplusultra mitzugeben, das sich unter Umständen für sie selbst zur Gefahr entwickeln könnte ...
Auffallendster Aspekt MATERIAS ist die als »beruhigte Zone« umschriebene Enklave, die im Kern zwar eng an die Gestalt der Kosmischen Fabrik gebunden scheint, in ihren Ausläufern jedoch insgesamt einen Durchmesser von grob ermittelten rund 200 Kilometern erreicht. Es handelt sich, dessen sind sich Tautmo und Blo rasch sicher, um einen Effekt extrem feinjustierter Semi-Manifestation, der die Möglichkeiten der Galaktiker deutlich übersteigt.
Inwieweit hierbei Wirkungen von Prozessen gekoppelt sind, die mit denen eines Hypertakt-Triebwerks zu tun haben, läßt sich zunächst nicht ermitteln, doch auszuschließen ist es nicht - immerhin »taucht« MATERIA in physikalisch nicht exakt definierbare Bereiche unter den Ereignishorizont des Dengejaa Uveso ab, und da sind schützende Sphären in der Art von Grigoroff- oder Paratronblasen fast zwingend notwendig, sofern nicht die extreme Feinjustierung der Semi-Manifestation diese Funktion übernimmt.
Semi-Manifestation ist ein im Grunde nur modellhaft erfaßbares Phänomen, darauf beruhend, daß sich im Standarduniversum jede konventionelle Wechselwirkung nur mit maximal Lichtgeschwindigkeit ausbreiten kann. Nimmt aufgrund der Entrückung, bei der im Verhältnis zum übrigen Weltraum das feldumschlossene Objekt quasi eine pseudosubstantielle Struktur annimmt, die relative Distanz den Wert von einigen Lichtstunden an, muß jeder Einfluß zwangsläufig unwirksam bleiben, weil er Stunden benötigen würde, um überhaupt das Objekt zu erreichen.
Konventionell läßt sich diese Relativdistanz natürlich gar nicht abmessen - es handelt sich bei der millimeterdünnen Grenzschicht des unvollständig geschlossenen Strukturfeldes schließlich um einen Prozeß auf übergeordneter Basis, zu dessen Beschreibung es der Formalismen der Hyperphysik bedarf. Faustregel ist hierbei aber: Je extremer die Feinjustierung wird, desto größer der Wert der Relativdistanz - theoretischer Grenzwert ist die Annäherung an unendlich ...
Bemerkenswert ist vor allem die Entdeckung, die den Einsatz des Kommandounternehmens überhaupt erst ermöglicht: Streuemissionen lassen den Schluß zu, daß maßgeblich an der Ausbildung der »beruhigten Zone« MATERIAS ein mit dem Carit verbundener Prozeß beteiligt sein muß. Dieses ist, soweit bislang bekannt, ein exotisches Material, zu dessen Herstellung der »Ultimate Stoff« benötigt wird; Carit kann bis zu einem unbekannten Grad Energie aufnehmen und nicht meßbar speichern und diese bei Erreichen eines Sättigungswertes in den Hyperraum abstrahlen.
Wird Carit nun einer exakt eingestellten hyperenergetisch-ultrahochfrequenten Induktion ausgesetzt (lateinisch inductio, inducere: »das Hineinführen, -leiten«), kommt es permanent zu Abstrahlungseffekten, deren primäre Wirkung noch offen ist. Als Sekundäreffekt jedenfalls ergibt sich die Erstellung der »Ultrasemi-Manifestation«. Hervorrufen läßt sich dieses, indem man die Emissionen von Hypertakt-Projektoren modifiziert und mit der Carithülle hyperenergetisch »kurzschließt«.
In der Kürze der Zeit lassen sich diese Prozesse naturgemäß nicht bis ins letzte Detail nachvollziehen, zumal überdies die theoretischen Grundlagen unbekannt sind. Tautmo und Blo müssen deshalb mit Modellen arbeiten, die Annäherungswerte liefern - aber die Ergebnisse sprechen für sich.
Apropos 1973: In Paris wird das Vietnam-Abkommen unterzeichnet; der Schauspieler Edward G. Robinson stirbt; die »Sesamstraße« wird zu einem Riesenerfolg; Marlon Brando erhält den Oscar für seine Rolle im »Paten«; der Watergate-Skandal zieht weitere Kreise und wird zum Rücktritt Präsident Nixons führen; Pablo Picasso stirbt; das Himmelslabor SKYLAB I erreicht die Umlaufbahn; PIONEER 10 schickt Jupiterfotos zur Erde.
Rainer Castor