Schon in seiner Entwurfs-Version des Essays Jahre der Krise, Betrachtungen zum beginnenden 20. Jahrtausend schrieb der seinerzeit führende arkonidische Historiker, Hemmar Ta-Khalloup, im Jahr 2047 (= 19.017 da Ark):
In einem Universum, dessen Grundlage das Relative ist, dürfte es eigentlich keine Absolutheitsansprüche geben, da diese jeglichen empirischen Erkenntnissen widersprechen. Tatsächlich aber neigen alle Wesen angesichts ihrer eigenen Unvollkommenheit leicht dazu, nach Absolutem zu streben: Sei es in Form von Regierungsorganisationsformen, sei es bei der Suche nach Wissen oder in der Beantwortung von Glaubensfragen. Deshalb darf nicht verwundern, daß ein bedeutender Faktor galaktischen Geschehens in Gestalt von Religionen und Kulten Ausdruck gewinnt.
Und zwei Arkonjahre zuvor war in seiner Untersuchung über Altvölker der Galaxis, rätselhafte Hinterlassenschaften, Legenden und ihre Auswirkungen folgendes zu lesen:
Dem entgegen steht nur auf den ersten Blick die offensichtliche Wissenschaftlichkeit und sachliche Betonung, die mit der Ausbreitung ins All verbunden wird. Wer sich jedoch zu Bewußtsein führt, daß hinter allem denkende und fühlende Geschöpfe stehen, mit ihren Ängsten, Sorgen, Wünschen, Hoffnungen und Trieben, darf sich nicht der Erkenntnis verschließen, daß gerade angesichts der Größe des Alls und seiner Wunder, Rätsel und Phänomene ein nährreicher Boden für neue Legenden »und Religionen« von speziesübergreifender Wirkung vorhanden ist.
An diesen Aussagen hat sich sogar im 13. Jahrhundert NGZ kaum etwas geändert. Vordergründig definiert sich Religion als »Glaube an eine oder mehrere höhere Mächte sowie deren Kult«. Betrachten wir allerdings die ursprüngliche Bedeutung des lateinischen religio (»rücksichtsvolle, gewissenhafte Beachtung, besonders von Heiligem, Frömmigkeit, Gottesfurcht«) oder religere (»rücksichtsvoll beachten«), bleibt für hochmütiges Naserümpfen wenig Platz - ist mit Religion im allgemeinen doch auch eine »ethische Nomenklatur« verknüpft, die maßgebliche Auswirkung auf das Mit- und Zusammenleben einer Zivilisation hat, ihrer Grundsätze, Prinzipien, Überzeugungen und Gebote oder Verbote.
Sicher, bei vielen raumfahrenden Zivilisationen tritt »Glaube« hinter »Wissenschaft« zurück (obwohl Vertreter des Letzteren mitunter kaum weniger dogmatisches Gebaren an den Tag legen als manche »Priester« ...), und höhergeordnete Prozesse, die mit Hyperraum und Hyperenergie verknüpft sind, werden »ganz sachlich« betrachtet und »technisch genutzt«. Aber ab einem gewissen Stand der Erkenntnis - Stichwort Paranormales, ÜBSEF-Konstante und Dinge dieser Art - schleicht sich quasi durch die Hintertür wieder das ehrfürchtige Staunen, um nicht zu sagen der Glaube ein, denn zu groß und faszinierend sind letztlich die Wunder des Kosmos. Hinzu kommt, daß sogar das festgefügteste »Wissen« (für das es, nebenbei, ebenfalls keinen Absolutheitsanspruch geben kann und darf) selten die emotionale Ebene befriedigen kann.
Ob nun ein Pantheon vieler Götter, der Glaube an eine »schöpferische Urkraft« oder die »Große Realität« - Glaube ist zunächst mal Privatsache, in die sich andere nicht einzumischen, sondern mit einem Höchstmaß an Toleranz zu begegnen haben.
Andererseits schrieb Hemmar Ta-Khalloup in Jahre der Krise auch: Es ist eine alte Erkenntnis, daß jeder nach mehr strebt als nur nach unmittelbarer Befriedigung der Grundbedürfnisse. Nach der Erfüllung des tieferen Gefühls nämlich, das allgemein mit Glück umschrieben wird. Wer dieses Streben für sich und seine Zwecke ausnutzt und seine Befriedigung propagiert, gewinnt Macht über all jene, die danach streben - und sei es auch nur unbewußt. Es erstaunt sicher nicht, wenn insbesondere den Religionen zu eigen ist, daß sie im Rahmen dieses »nach etwas mehr streben« eine Definition liefern, dem Bedürfnis eine konkrete Form verleihen und es im Sinne der Glaubenslehre kanalisieren. Kein Wunder, daß deshalb viele Anhänger den jeweiligen Glaubensgrundsätzen bedingungslos folgen und in ihrer Bereitschaft, das »Glück« zu erlangen, Dinge tun, die ihnen aus dunklen Quellen aufoktroyiert werden. Skrupellose Machthaber nutzen diese Erkenntnis oftmals brutal für ihre Zwecke aus, und folglich ist die Kombination von Religion und Staat auf galaktischer Bühne nicht eben selten.
Demnach wird Religion dann problematisch, wenn Dogma zum Missionarischen wird oder zum unbeugsamen Fanatismus ausartet. Hier endet Toleranz, denn zwangsweise Bekehrung, unter Umständen mit Waffengewalt oder gar Massenmord verknüpft (»Tod den Ungläubigen, den Nichtbekehrbaren« ...), ist in keinster Weise akzeptabel!
Es ist also nicht die tazolische Religion an sich, die zwangsläufig die Ablehnung anderer hervorruft, ja hervorrufen muß, sondern die von den Tazolen angewandten Methoden - nicht zuletzt mit Blick auf ihre, von Shabazza manipulierten, Aktivitäten beim Sonnentresor und den damit verbundenen Dingen.
Toleranz ist eines und für die friedliche Koexistenz galaktischer oder gar intergalaktischer Zivilisationen unabdingbar, ihre Grenzen werden allerdings dort überschritten, wo ihr kein entsprechendes Gegenstück entgegentritt, sondern (religiöser) Terror in seiner schlimmsten Form (daß vor diesem Hintergrund die Handlungen einiger Thoregon-Völker ebenfalls einer Überprüfung bedürften, soll an dieser Stelle nicht verschwiegen werden ...).
Apropos 1969: Bei der Mission von APOLLO XI betritt Neil Armstrong als erster Menschen den Mond; der US-Boxweltmeister Rocky Marciano stirbt; der Amerikaner Murray Gell-Mann erhält für grundlegende Theorien der Elementarteilchen den Physiknobelpreis; eine Aufwertung der Deutschen Mark führt dazu, daß der Dollar nicht mehr die lange üblichen 4 Mark, sondern nur noch 3,66 Mark wert ist.
Rainer Castor